Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
Vom Netzwerk:
lediglich als einen der Ersten unter den Bürgern erscheinen ließ. Zugleich hatte er die alten politischen Institutionen und Verfahren der Republik wiederbelebt: Der Senat tagte undberiet, die Magistrate in Rom und die Statthalter in den Provinzen handelten, das Volk versammelte sich, wählte und entschied – und man tat in wichtigen Fragen ausschließlich das, was der Kaiser wollte. Dieser wiederum, dessen unbeschränkte Verfügung über die militärischen Gewaltmittel durch die stetige Präsenz seiner Leibgarde, der Elitetruppe der Prätorianer, jedermann deutlich vor Augen stand, ließ sich seine Sonderstellung in Rom und in den Provinzen in den Formen des traditionellen Rechts bestätigen – und dokumentierte damit, daß er der alten republikanischen Institutionen, die er entmachtet hatte, zur Rechtfertigung seiner Gewalt bedurfte. Damit war eine merkwürdige Situation entstanden, die allen Beteiligten hohes kommunikatives Geschick abverlangte: Die Senatoren hatten so zu handeln, als besäßen sie eine Macht, die sie nicht mehr hatten. Der Kaiser hatte seine Macht so auszuüben, daß es schien, als ob er sie nicht besitze.
    Wie kam es zu dieser widersprüchlichen, historisch einmaligen Verbindung von Republik und Monarchie? Ein gesellschaftlicher und ein politischer Grund lassen sich benennen. Wie bei allen vormodernen Hochkulturen handelte es sich auch im antiken Rom um eine stratifizierte Gesellschaft, die nach der Differenz adlig/nichtadlig gegliedert war. Die Ausübung von Herrschaft, sei es im militärischen, sei es im städtischen Bereich, war damit von jeher auf Mitglieder der Oberschicht beschränkt geblieben. Trotz seiner Einbeziehung in politische Entscheidungsprozesse zur Zeit der Republik dokumentierte gerade das einfache römische Volk eindrucksvoll diesen Sachverhalt: Obwohl die regelmäßig stattfindenden Wahlen formal frei waren, wurden fast ausschließlich Mitglieder immer derselben Adelsfamilien in politische Ämter und damit in die militärischen Führungspositionen gewählt. Nur ihnen war man bereit zu gehorchen. Jeder Kaiser sah sich mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Zum Kommando der Legionen im Reich wie zur Übernahme ziviler Funktionen in Rom bedurfte er der führenden Vertreter der adligen Oberschicht. Diese aber war identisch mit den etwa 600 Personen, die die politische Institution Senat bildeten und damit den Kern der römischen Aristokratie ausmachten.
    Ein zweiter Grund war banaler, aber kaum weniger wirksam.Er betraf die Lebensgefahr, in der alle Beteiligten schwebten. Die Bürgerkriege der späten Republik hatten gezeigt, wozu militärische Gewalthaber gegenüber ihren aristokratischen Standesgenossen in der Lage waren. Seit Sulla hatte es immer wieder Proskriptionen gegeben, in deren Rahmen politische und persönliche Gegner ohne weiteres schlichtweg physisch liquidiert wurden. Umgekehrt hatte sich auch in Rom gezeigt, daß sich auf Bajonetten schlecht sitzen läßt. Das Schicksal des allmächtigen Diktators Caesar, Augustus’ Adoptivvater, hatte dokumentiert, daß die traditionelle Abwehr der gesamten Aristokratie gegen alle Formen der Monarchie auch vom Kreis der engsten Gefolgschaft des Gewalthabers ausgehen konnte. Verschwörung und Mord, stets legitimierbar als Beseitigung des Tyrannen, waren das Damoklesschwert, das fortan in Rom über jedem Kaiser schwebte und, wie die nächsten Jahrhunderte zeigen würden, nicht wenige treffen sollte.
    Die paradoxe Etablierung einer Alleinherrschaft durch die Wiederherstellung der alten Republik war Augustus’ Antwort auf diese Situation. Seine besondere Leistung bestand darin, gezeigt zu haben, daß so etwas möglich war. Diese Leistung sollte sich jedoch zugleich als ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft erweisen. Seine Einlösung prägte die Zeit nach seinem Tod im Jahre 14 und damit die Lebenswelt, in der sein Urenkel Caligula aufwuchs. Vor allem zwei zentrale Probleme traten schnell zutage: die persönliche Überforderung möglicher Nachfolger in der schwierigen Kaiserrolle und – schon zu Augustus’ Lebzeiten zu beobachten – die Politisierung der kaiserlichen Familie.
    Die Regierungspraxis des Augustus hatte ein hohes Maß an Selbstverleugnung der eigenen Stellung einerseits, an geschickter Handhabung von Macht andererseits vorausgesetzt. Seit mehreren hundert Jahren hatte sich in Rom ein Gesellschaftssystem etabliert, das auf der unmittelbaren Kopplung von politischer Macht und sozialem Rang basierte. Die Mitglieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher