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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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Wenn Caligula wahnsinnig war, warum hat man ihn dann nicht stillschweigend beiseite genommen und in ärztliche Obhut gegeben – so wie man das mit psychisch kranken Herrschern in der späteren europäischen Geschichte gemacht hat?
    Längst nicht alle modernen Autoren gehen davon aus, daß Caligula wahnsinnig war. Angesichts der erkennbar denunziatorischen Tendenz der antiken Quellen hat eine Reihe von Forschern – hervorzuheben sind die Namen Willrich, Gelzer, Balsdon und Barrett – versucht zu klären, was denn tatsächlich unter seiner Herrschaft vorgefallen ist. Große Fortschritte sind dabei in vielen Detailfragen erzielt worden: Durch quellenkritische Vergleiche zeitlich paralleler sowie früherer mit späteren Überlieferungen hat man – wie beim Inzestvorwurf – falsche Informationen ausschließen können. Mitteilungen der antiken Autoren, die ihrer eigenen Aussageabsicht widersprechen, die ihnen gewissermaßen aus Versehen unterlaufen sind oder die sie aufgrund allgemeiner Bekanntheit nicht verschweigen konnten, hat man dagegen als glaubwürdig herausstellen können. Schließlich kann man anhand der gesamten Überlieferung ein Kontextwissen erarbeiten, eine Theorie von Politik, Gesellschaft, Religion und Mentalitäten jener Zeit, die es ermöglicht, plausible von nicht plausiblen Quellenberichten zu unterscheiden. Zum Teil ist in der modernen Forschung auch über das Ziel hinausgeschossen worden, indem aus dem unmoralischen wahnsinnigen ein rational handelnder guter Herrscher geworden ist. Vor allem aber eine Frage ist offengeblieben: Wie ist der abgrundtiefe Haß auf Caligula, der in den Berichten über ihn zum Ausdruck kommt, seinerseits zu erklären?
    Fast alle Quellenberichte lassen sich auf Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft Roms zurückführen. Sie stammen von Senatoren und vornehmen Rittern, die in unmittelbarem Kontakt mit dem Kaiser standen. Auch ihre falschen Aussagen über Caligula beinhalten damit eine historische Wahrheit: Der römischen Aristokratie müssen unter seiner Herrschaft so ungeheuerliche Dinge zugestoßen sein, daß man ihm posthum die höchste denkbare Stigmatisierung zuteil werden ließ: Er wurde als Monster und Wahnsinniger beschimpft und damit gleichsam aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen.
    * Die wörtlichen Zitate aus den antiken Quellen werden in Anlehnung an die gängigen deutschen Übersetzungen wiedergegeben; die Abkürzungen der Autorennamen und Werktitel sind auf S. 195 aufgelöst.

I. Kindheit und Jugend

1. Das Erbe des Augustus
    Am 31. August des Jahres 12 n. Chr. wurde Gaius Caesar Germanicus als Sohn des Germanicus und der Älteren Agrippina geboren. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt erwarten, daß er im Alter von nur 24 Jahren am 18. März 37 – bekannt unter dem Spitznamen
Caligula –
römischer Kaiser werden würde: Herrscher über ein Reich, das nahezu die gesamte antike Welt von Syrien bis zur Kanalküste, von Nordafrika bis zum Donauraum, von Spanien bis Kleinasien umfaßte. Auch wird niemand geahnt haben, was sich in den zweieinhalb Jahrzehnten bis zu seinem Herrschaftsantritt an Intrigen und Morden, an Prozessen und Hinrichtungen im Zentrum dieses Reiches, in Rom ereignen sollte. Kaum vorstellbar schließlich dürfte es für die Zeitgenossen des Jahres 12 gewesen sein, wie dieser Gaius am Ende seine Herrschaft ausüben würde.
    Noch regierte sein Urgroßvater Augustus, und über die wichtigste Leistung seiner langen Alleinherrschaft (31 v. Chr. – 14 n. Chr.) waren sich die aristokratischen Zeitgenossen – bei aller unter der Hand geäußerten Kritik an ihm – einig: Er hatte in Rom eine fast hundert Jahre dauernde Periode gewaltsamer politischer Auseinandersetzungen und Bürgerkriege, die den gesamten Mittelmeerraum in Mitleidenschaft gezogen hatten und die sich in der Rückschau als Prozeß der Monopolisierung von politischer Gewalt beschreiben lassen, beendet und Frieden geschaffen. Zwar hatte er damit die alte, über Jahrhunderte überaus erfolgreiche kollektive Herrschaft der Aristokratie, die die römische Republik gekennzeichnet hatte, beendet und durch eine offensichtlich unumgänglich gewordene Alleinherrschaft ersetzt. Aber er hatte, und dies wurde ihm von vielen seiner Standesgenossen zugute gehalten, seine im Bürgerkrieg gegen Marcus Antonius usurpierte, auf militärischer Gewalt basierende Sonderstellung nicht in die Form einer Monarchie überführt, sondern mit dem Begriff «Prinzipat» bezeichnet, der ihn
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