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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition)
Autoren: Susann Julieva
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späte Rückkehr, was immer sie bringen oder bedeuten mochte. Der Wein war bittersüß, wie eine wehmütige Melodie. Als dünner, schüchterner Junge, der noch nichts von der Welt gesehen hatte, war Maxim damals hierher gekommen. Nun war er als gemachter Mann zurückgekehrt. Doch an diesem Ort schien aller Erfolg unbedeutend, nutzlos und eitel. Etwas Ehrerbietendes wohnte in diesem alten Gemäuer, das zu wispern schien: alles Schall und Rauch.
    Draußen vor den schmalen, drachenäugigen Kellerfenstern, weit oben, erhob sich der Wind und ein Wintersturm begann zu toben. Maxim versank in Gedanken. Zeit zerrann. Die Erinnerung schien sich, wie ein zerknülltes Blatt Papier, von selbst zu öffnen, sich zu glätten, lebendig zu werden. Wie Geister schälten sich vertraute Gesichter aus den Schatten und wirbelten durch den Raum, ihn erweckend. Das Summen von Stimmen, kristallklares Lachen, ferne Musik. Sie kehrte zurück, die schönste, die wildeste Zeit seines Lebens. Die Zeit im Café der Nacht.

Ein neues Leben
     
    D A M A L S
     
    Die Welt hatte es ziemlich eilig draußen vor dem Zugfenster. Monotones Schienenrattern unterlegte die vorbeihuschenden Bilder mit einem abenteuerlustigen Takt. Winterbleiche Wiesen, karges Braun der leeren Felder, dazwischen glitzernde Schneeflächen. Silbrig fahles Nebellicht verzauberte die weite Landschaft. Maxims junges Gesicht, das sich vage im Fenster spiegelte, war angespannt, die Augen schüchtern hinter den braunen Haarsträhnen. Er sah jünger aus, als er war. Fort, fort, fort, schienen die Wagenräder zu singen. Heute war Maxims achtzehnter Geburtstag, und die Wagenräder ratterten, als wollte der Eilzug fliegen.
    Die Flucht war lange geplant gewesen. Morgen sollte Maxim seinen Posten im väterlichen Geschäft antreten, Meinig Interieur . Ein Traditionsunternehmen, das individuell zugeschnittene Möbel baute. Er wusste, sein Vater würde erst am Abend nach Hause kommen, kurz vor der kleinen, stilvollen Feier, die er gezwungenermaßen für das Geburtstagskind zu geben hatte. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war, gelinde gesagt, etwas kühl. Maxim hatte sich nie des Gefühls erwehren können, dass sein Vater sich für ihn schämte, und dies nicht nur wegen seines missgebildeten Fußes. Er, der stille Träumer, der sich schwertat, anderen gegenüber aus sich herauszugehen, war in seinen Augen kein richtiger Mann. Maxim fürchtete seine eisige Strenge zu sehr, um offen zu rebellieren. Dennoch erfüllte ihn die Vorstellung, eine Lehre im väterlichen Unternehmen aufgezwungen zu bekommen, mit Grauen. Was ihn betraf, hatte er keine Wahl, als wegzulaufen.
    Mit Unbehagen dachte Maxim daran, wie er sich in seines Vaters exquisites Arbeitszimmer gestohlen hatte, um seinen kurzen Abschiedsbrief zu platzieren. Ihm war speiübel gewesen. Dann hatte er sich mit heftig klopfendem Herzen aufgemacht, um niemals zurückzukehren. Es war unerwartet schwer gewesen, zum letzten Mal durch die hohe Eingangstür der Gründerzeitvilla zu treten, die ausgetretenen Stufen hinunter. Wie ein Dieb den Schotterweg entlang, vorbei an den knorrigen Bäumen des efeuüberwucherten Parks, ihr Anblick so vertraut. Maxim wusste, dass es ein einschneidender Moment war, als er die Eisenpforte hinter sich zuzog. Ihr leises Klicken, Einrasten, so unschuldig anmutend, zog die Grenze zwischen seiner Kindheit und einer ungewissen Zukunft.
     
    Im überfüllten Eisenbahnwagen stank es nach Eiersalat, Kaffee und dem schweren, süßlichen Parfum der aufgedonnerten Dame schräg gegenüber. Maxim war wie stets nervös und unsicher in Gegenwart fremder Menschen. Aber nun, endlich unterwegs, hatte sich auch ein leichtes, euphorisches Kribbeln im Bauch eingestellt. Vielleicht war es töricht, einfach ins Blaue hinein zu fahren, sich kein Zimmer im Voraus besorgt zu haben. Im Gepäck hatte er ein Sparbuch mit allem, was seine früh verstorbene Mutter ihm hinterlassen hatte, ohne zu wissen, wie lange ihm diese Summe zum Überleben würde reichen müssen. Zum Ziel seiner Reise in die Freiheit hatte er sich München auserkoren. Er war aufgeregt, was ihn erwartete.
    Als der Zug nach wenigen Stunden kreischend im hektischen Sackbahnhof der Großstadt zum Stillstand kam, war Maxim vor Freude und Aufregung ein rechtes Nervenbündel. Der Erstkontakt verlief höchst unromantisch. Jemand rempelte ihn beim Aussteigen von hinten an und er stürzte wie der Papst hinunter, um den Boden zu küssen. Man stieg über ihn hinweg wie über eine
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