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Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes
Autoren: J Brekke
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alte Holzhaus in der Kirkegata in Trondheim war ein ganz passabler Ort, um zugrunde zu gehen, dachte Vatten. Deshalb war er auch dort wohnen geblieben, obwohl ihm alle möglichen Leute geraten hatten auszuziehen, um das Ganze hinter sich zu lassen und etwas mehr Abstand zu bekommen. Er nutzte schon lange nicht mehr alle Räume des Hauses.Vom Flur aus konnte er direkt in die Küche gehen, an die Schlafzimmer und Bad angrenzten. Die übrigen Zimmer im Erdgeschoss nutzte er als Lagerplatz für Zeitungen und Bücher, im ersten Stock war er schon seit Monaten nicht mehr gewesen. Oder waren es Jahre? Er erinnerte sich kaum noch, wie es dort oben aussah. Ein Architekt, den er noch aus seiner Kindheit in Horten kannte, hatte ihm geholfen, den gesamten ersten Stock umzubauen, bevor sie hier eingezogen waren. Er erinnerte sich an viele ihrer Diskussionen über Raumaufteilung, Fenster und Lichteinfall, ebenso an die Pläne und ihre kleinen Streitereien über Leisten und Schranktüren. Nicht einmal die Farbflecken, die er beim letzten Finish auf seine alte, noch aus Studienzeiten stammende Jogginghose gemacht hatte, als ihnen das Geld ausgegangen war und sie den Rest eigenhändig hatten fertigstellen müssen, hatte er vergessen.Aber das war es dann auch schon, woran er sich erinnerte. Die fertigen Zimmer, die Bilder an den Wänden, die Legosteine auf dem Boden, die Aussicht auf die Domkirche, die ihnen so wichtig gewesen war, das Teleskop am Dachfenster, die Weihnachtsbäume, die Windelwechsel, das Erbrechen, die Liebesbezeugungen und Diskussionen, kurz gesagt, ihr gesamtes Leben, das sie dort oben gelebt hatten, lag vollkommen im Dunkeln.
    Jetzt saß er in der Küche, stützte beide Ellenbogen auf die Tischplatte und wärmte sich die morgenklammen Hände an der Kaffeetasse, während er auf eine Fliege starrte, die im Fensterrahmen starb. Nach der dritten Tasse Kaffee gab sie es auf, mit den Flügeln zu schlagen. Er goss sich eine vierte Tasse ein und betrachtete das tote Insekt.Als er ausgetrunken hatte, hob er die Fliege vorsichtig auf und warf sie in den Mülleimer. Es war bald zehn Uhr.An der Zeit, rauszukommen.
    Raus hieß in die Gunnerusbibliothek. Sein Leben kannte nur diese beiden Orte. Zu Hause oder auf der Arbeit.Wenn er nicht gerade auf dem Fahrrad saß und von dem einen zum anderen Ort fuhr. Er nahm immer den gleichen Weg, außer er musste im Sparmarkt an der Bakke bro einkaufen.Wenn ihn ein Kollege oder sonst irgendjemand auf die Monotonie seines Daseins ansprach, protestierte er und gab an, am Wochenende Spaziergänge zu unternehmen.Am Hafen entlang oder am Fluss Nidelva, oder hinauf zur Festung, wenn nicht sogar bis ganz nach oben zur höchsten Stelle des Parkes, wie sie es früher getan hatten.Vor drei oder vier oder vielleicht schon fünf Jahren, als sie noch zu dritt gewesen waren. Und so ganz unwahr war das auch nicht.An den Sonntagen machte er tatsächlich mitunter Spaziergänge.
    Draußen regnete es. Die Nässe ließ die Holzhäuser an der Kirkegata glänzen. Es war Samstag, und viel zu viele Menschen mit Schirmen waren auf dem Weg in die Innenstadt.Vatten fuhr langsam durch die abschüssige Kurve in der Asylgata, denn an so kalten, regennassen Herbsttagen konnte es glatt sein. Sein Fahrrad war einmal ein echtes Schmuckstück gewesen, ein Hightechgerät, das mehrere Monatslöhne gekostet hatte, doch jetzt sah es traurig aus. Er hatte es verkommen lassen. Überall saß Rost, die Bremszüge waren lose, der Sattel hatte ein Loch, und die Mäntel waren schon lange nicht mehr original.
    Wohlbehalten unten auf dem Baklandet angekommen, nahm er Tempo auf.Wenn keine Leute in der Nähe waren, fuhr er mit voller Absicht durch die Pfützen, dass das Wasser nach beiden Seiten spritzte. Der Hosensaum unter der Re genhose wurde nass, und das taube Gefühl, das er in der Regel in den Beinen hatte, wich einem leichten Kribbeln.Aber selbst das schüchtern kindische Verhalten führte nicht dazu, dass er entspannter oder gar fröhlicher wurde. Es half ihm lediglich, sich ein bisschen lebendiger zu fühlen, als gäbe es irgendwo in seinem Inneren doch noch eine Saite, die mit der Welt draußen verbunden war.
    Die Domkirche ragte grauer als ihr Schatten wie ein riesiger Grabstein in den Regen empor. Ihr Anblick löschte in ihm jeden Gedanken daran, dass in seinem achtunddreißigjährigen Körper vielleicht doch noch irgendwo Leben herrschte. Er mochte die Domkirche, aber sie war so verdammt düster, dass er meist beklommen
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