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Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes
Autoren: J Brekke
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niemals zuvor gesehen hatte. Jedenfalls nicht leibhaftig, son dern nur auf Fotos. Auf diesen Bildern hatte sein Gast freund lich ausgesehen, doch so, wie er jetzt aussah, handelte es sich nicht um einen Freundschaftsbesuch. Nein, dieser Besuch kam ihm definitiv ungelegen.
    »So, hier brüten Sie also über Ihrem großen Fund«, sagte der Gast mit überraschend wenig Akzent.
    Es durchfuhr Bond heiß.Woher wusste der Gast von seinem Fund? Wie war das möglich? Sie hatten sich doch fest vorgenommen, die Sache geheim zu halten.Wie konnten sie nur so unvorsichtig sein? Zugleich wusste er aber bereits, dass dies nur hohle Worte waren – der Mann war nicht gekommen, um mit ihm zu diskutieren. Das sagte ihm das Brecheisen in seiner Hand.
    Efrahim Bond hatte sein Büro noch nie gemocht. Es war viel zu klein. Der Abstand vom Schreibtisch, an dem er saß, bis zur Tür, war so kurz, dass die Füße des Schreibtisches den kleinen persischen Teppich hochschoben, der dem Zimmer einen Hauch von Klasse geben sollte, sodass dieser vor der Türschwelle regelmäßig Falten warf. Bond saß so dicht vor der Tür, dass jeder Besucher auf der Schwelle seines Büros sich direkt über seinen Schreibtisch beugen konnte. Der Gast stand also mit anderen Worten nur einen Schritt und einen wohlgezielten Schlag mit dem Brecheisen von seiner Schläfe entfernt, wenn seine Füße vorher nicht über den Teppich stolperten.
    »Ich habe mir die Freiheit genommen, das Museum für heute zu schließen. Es waren ja ohnehin keine Besucher mehr da, und ein bisschen Arbeitsruhe kann ja nicht schaden.« Seine Stimme klang entspannt, ja, die ganze Erscheinung seines Besuchers wirkte informell und leger. Er trug einen hellen Wollpullover mit V-Ausschnitt, eine weit geschnittene Freizeithose und Segelschuhe.
    »Arbeitsruhe«, wiederholte Bond steif und blickte auf den Brieföffner, der in dem Stifthalter vor ihm auf dem Schreibtisch stand. Er schätzte den Abstand zwischen ihm und seiner rechten Hand ein.Wie viele Zehntelsekunden würde es dauern, bis das Brecheisen ihn zum ersten Mal traf? Bliebe ihm Zeit genug, den spitzen stählernen und wie ein Bajonett geformten Brieföffner zu ergreifen und den Schlag zu parieren? Wie erfolgreich wäre es, einfach blind zuzustoßen, um dem Ganzen doch noch zu entgehen?
    Mutig war er nie gewesen. Er hatte nie darüber nachgedacht, jemals jemanden angreifen zu müssen, und schon gar nicht dazu gezwungen zu sein, jemanden zu entwaffnen oder gar zu töten, der ihn angriff. Doch jetzt erkannte er, dass dies vermutlich seine einzige Chance war. Ihm blieb keine andere Wahl, und damit war es plötzlich nicht mehr eine Frage des Mutes. Bei Melvilles weißem Wal, bei seiner Schriftstellerkarriere und auch bei seiner Familie hatte es immer die Alternative gegeben, Mut und Stärke zu zeigen. Oder andere Auswege zu nutzen, schäbige Auswege eines Mannes, der aufgegeben und niemals den Versuch unternommen hatte, aufzubegehren, wenn ihm der Wind ins Gesicht geblasen hatte.Aber es waren Auswege gewesen, mit denen er hatte leben können. Hier hingegen gab es keinen Ausweg, jetzt blieb ihm nur noch die eine Wahl: handeln oder sterben.
    Trotzdem war er nicht schnell genug. Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde und dachte an den Rausch, den er in den letzten Monaten verspürt hatte, die Ungeduld, seine Entdeckung endlich präsentieren zu können, die Pressekonferenz, das Buch, das er schreiben wollte und das auf Englisch und Norwegisch herausgegeben werden würde, die Gastvorlesungen und Seminare. Es sollte der Wendepunkt seines Lebens sein. Endlich. Er hatte sich sogar überlegt, eines seiner Kinder anzurufen und ihm davon zu berichten, bevor die Entdeckung publik wurde. Bills Nummer hatte er. Sie stand in dem Adressbuch, das neben dem Stifthalter lag.
    Seine Hand zuckte nach vorn zum Brieföffner. Im gleichen Moment schwang der Besucher das Brecheisen mit der Ruhe und Konzentration eines Baseballspielers nach vorn. Der Schlag traf nicht Bond, sondern schlug den Stifthalter weg, als Bonds Fingerspitzen gerade noch zwei Zentimeter vom Brieföffner entfernt waren. Stifte und Brieföffner trafen das Regal rechts von ihm. Unweit der Stelle, an der er vor einigen Monaten seinen großen Fund gemacht hatte. Noch immer zeigte der Spalt an, wo das Buch mit dem seltsamen Ledereinband gestanden hatte.
    »Kein Grund zur Eile«, sagte der Gast, das Brecheisen noch immer in der Hand. »Wir haben alle Zeit der Welt.«

3
    Trondheim, September 2010
    D as
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