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Bruno Chef de police

Bruno Chef de police

Titel: Bruno Chef de police
Autoren: Martin Walker
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den kleinen ihm anvertrauten Winkel des Paradieses, atmete seine Heimatluft tief ein und wappnete sich für den Tag.
     

2
    Bruno hatte zwar nie mitgezählt, aber an Markttagen küsste er an die hundert Frauen auf die Wange und schüttelte ebenso vielen Männern die Hand. Als Erste küsste er an diesem Morgen die dicke Jeanne, wie sie von den Schulkindern genannt wurde. Nur in Frankreich, einem Land, das für die Rätsel der Weiblichkeit besonders aufgeschlossen ist, gibt es den beispiellosen Begriff der
jolie laide
- der »hübschen Hässlichen« -, der eine wenig ansehnliche Frau beschreibt, die sich in ihrer Haut aber so wohl fühlt und so viel gute Laune ausstrahlt, dass sie dadurch hübsch und liebenswert wird. Die dicke Jeanne war eine solche
jolie laide,
Anfang fünfzig und nahezu kugelrund. Die alte braune Ledertasche, in der sie die bescheidenen Standgebühren von den Händlern auf dem Markt von Saint-Denis einsammelte, prallte mit Wucht gegen Brunos Schenkel, als Jeanne mit einem freudigen Quieklaut herumwirbelte, um ihm zur Begrüßung die Wange hinzuhalten. Anschließend steckte sie ihm eine frische Erdbeere von Madame Verniets Stand in den Mund, wofür der
chef de police
sich bei der schelmisch grinsenden alten Witwe mit einem Kuss auf beide runzeligen Wangen bedankte.
    »Das sind Fotos der Inspektoren, die Louis gestern in Saint-Alvère aufgenommen hat«, sagte Bruno und zog aus seiner Brusttasche ein paar Ausdrucke, die er am Vorabend bei seinem Kollegen abgeholt hatte. Er hätte die Bilder auch an den Computer der
mairie
mailen können, doch vorsichtig, wie er war, wollte Bruno nicht riskieren, dass er auf seinem heimlichen Feldzug gegen die Brüsseler Inspektoren elektronische Spuren hinterließ.
    »Wenn du einen von ihnen siehst, ruf mich an. Und verteil bitte die Abzüge hier an Ivan im Café, Jeannot im Bistro und an Yvette im
tabac.
Und wenn du schon mal dort bist, könntest du auch gleich die Händler hinter der Kirche warnen. Ich werde den anderen vor der Brücke Bescheid sagen.«
    Seit 1346, als nach der Schlacht von Crécy die Hälfte des französischen Adels von den Engländern gefangen genommen worden war und die gräfliche Familie Brillamont ihr Oberhaupt mit geliehenem Geld hatte freikaufen müssen, wurde in der kleinen Périgord-Gemeinde Saint-Denis jeden Dienstag Markt abgehalten. Dieses Privileg hatte die Stadtbevölkerung durch Zahlung der stattlichen Summe von fünfzig Livre in Silber an den Feudalherrn erworben, um sich den Vorteil der günstigen Stadtlage an der Mündung des kleinen Flüsschens Le Mauzens in die Vézère zu sichern, wo noch die Ruinen der alten Römerbrücke aus dem Wasser ragten. Elf Jahre später waren die unterlegenen Edelmänner und Ritter Frankreichs erneut auf ihren schweren Streitrössern gegen die englischen Langbogenschützen in den Krieg gezogen - und viele waren dabei gefallen. Nach der Schlacht von Poitiers hatte der Seigneur de Brillamont abermals von den siegreichen Engländern freigekauft werden müssen. Inzwischen aber war durch Marktsteuern so viel Geld zusammengekommen, dass die alte Römerbrücke provisorisch repariert werden konnte. Und für weitere fünfzig Livre erwarb die Stadt von den Brillamonts das Recht, auf der Brücke Zollgebühren zu erheben. Die Einkünfte der Stadt waren damit auf Dauer gesichert.
    In der Folgezeit hatten sich französische Bauern, Zolleintreiber und Vertreter der Staatsmacht wiederholt kleine bis größere Kämpfe geliefert. Der jüngste Ärger mit den Inspektoren (Franzosen, die ihre Befehle aus Brüssel entgegennahmen!) war nur der vorläufig letzte Höhepunkt in einem endlosen Streit. Wären die neuen Gesetze und Verordnungen in Frankreich ausgeheckt worden, hätte Bruno sie wahrscheinlich nicht so beharrlich und lustvoll zu durchkreuzen versucht. Aber dem war nicht so. Sie stammten aus Brüssel, von der fernen Europäischen Union, die jungen Dänen, Portugiesen und Iren genau wie Franzosen gestattete, während des Sommers auf den hiesigen Campingplätzen und in der Gastronomie Geld zu verdienen. Aber die Bauern der Gegend - allesamt Brunos Freunde und Nachbarn - hatten ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und was sie auf dem Markt verdienten, reichte nicht einmal für die Bezahlung der Ordnungsstrafen, die die Inspektoren verhängten.
    Es gab nicht mehr viele, die gewarnt werden mussten. Auf dem Markt machten sich immer mehr Ortsfremde breit, die Kleider verkauften, Jeans und Stoffe, billige Pullover, T-Shirts
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