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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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nun auch gleich, daß sie nach dem Patienten Werchow vorerst nicht zu gucken brauchten, sein Zustand sei unverändert, war ihnen ja eben mitgeteilt worden von der fragilen Angehörigen; und damit hatte Britta noch nicht einmal gelogen, denn war er jetzt nicht schon einige Zeit tot? Unveränderter und unveränderlicher konnte ein Zustand schwerlich sein, nicht wahr.
    Hinterm Krankenhaus, an dessen fensterloser Seitenwand, hievten Matti und Erik Willy auf den Rücksitz der Jawa, nicht auf Anhieb gelang ihnen das, denn seine Beine hingen starr wie Glockenklöppel und mußten erst auseinandergebogen werden. Dann nahm Matti vor ihm Platz, und Erik band die zwei mit den Riemen zusammen. »Bißchen fester noch«, bat Matti, er würde zwar nicht schnell fahren, aber er wollte auf jeden Fall vermeiden, daß Willy ihm in einer Kurve wegrutschte und er noch einen Unfall baute, denn einen Unfall konnte er auf dieser Tour nun wahrlich nicht brauchen.
    »Fahr vorsichtig«, mußte Erik natürlich noch sagen, aber Matti war so aufgeregt, daß er das nicht als überflüssig empfand und erst recht nicht als störend. Er nickte brav und ließ sich sogar auf die Schulter klopfen von Erik, sieh mal an.
    Marieluise, die mußte währenddessen auch was. Es dränge sie, sich draußen mal die Füße zu vertreten, teilte sie dem Pförtner mit. Solange sie in seinem Blickfeld war, schlenderte sie auch, sie trollerte geradezu, doch kaum meinte sie, vom Eingang aus nicht mehr sichtbar zu sein, schon nahm sie die Beine in die Hand.
    Dann begann die Fahrt. Das erste Gasgeben war ein behutsames, trotzdem drohte das Gewicht der Leiche Matti nach hinten zu ziehen, und er mußte sich vorbeugen, als wäre Sturm. Wohin jetzt eigentlich? Egal wohin, hatte Willy gesagt, und genau dahin fuhr Matti der Wunscherfüller jetzt, nahezu im Schrittempo rollte er vom Krankenhaus weg durch diese Gasse und durch jene, langsam, immer hübsch langsam, denn feucht und bucklig war das Pflaster, und gar nicht einfach war es mit diesem Hintermann, der auf jede noch so kleine Bewegung verzögert reagierte und in der Verzögerung immer auch an Gewicht zuzunehmen schien. Willenlos sollte der sein? Dominant war er! Fortwährend zwang er Matti seine Willenlosigkeit auf, und Matti mußte reagieren und hatte sich nach ihm zu richten in Wahrheit, ach, schwierig, so einen hintendrauf zu haben …
    Aber wie klein war dieses Gerberstädtchen, wie schnell fuhr man hier, obwohl man so langsam war, auf etwas Bekanntes zu; war das da vorn nicht die Stichstraße, die zum Bunker führte?
    Matti hatte dieses Ziel wie automatisch angesteuert, denn mochte Willy auch keine Vorgabe gemacht haben, er, sein Sohn, wußte sehr wohl, daß der Vater seine Runde zu beenden wünschte, er wußte es ganz genau, und so fuhr er auf den riesigen Schatten zu, vor dem Willy seine letzte und entscheidende Niederlage erlitten hatte. Matti bremste vorsichtig. Er stand nun vor der Stahltür des Bunkers. Er vergegenwärtigte sich, was Willy vorhin allen erzählt hatte, und ihm schwante plötzlich, sein Vater habe es an dieser Stelle regelrecht auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen. Aber ja, hier in der Nähe der dröhnenden Rotationsmaschinen, hier direkt neben seinem Werk, wo er so eingegangen war mit der Zeit, hier hat er sich noch mal groß gemacht, dachte Matti: ›Ich oder Freieisen‹ hat er sich doch wohl gesagt, und er war nicht dumm, er mußte gewußt haben, er würde Schiffbruch erleiden, aber es hat ihn nicht davon abgehalten, Freieisen entgegenzutreten. Matti stellte sich vor, Willy sei sogar völlig ruhig gewesen in jenen Sekunden vor dem Niederschlag, den zu empfangen er die Ehre gehabt hatte, jawohl die Ehre, denn Bereitwillige müssen nicht geschlagen werden, nur Widerspenstige, und das war schön, sich sein Ende so denken zu dürfen, da wurde es ein bißchen weniger bitter. Und tat er auch was, Matti, oder dachte er nur? Er versuchte, hinter sich nach Willys Kopf zu langen, er wollte Willy nur mal ansehen, weil er erstaunlicherweise jetzt noch was über ihn begriffen hatte, aber das funktionierte nicht recht, er stieß mehr an ihn, als daß er ihn in den Blick bekam.
    Da fuhr er wieder los, aber nicht nach Hause, noch nicht, er konnte leicht einen Umweg nehmen, die Route war ihm schließlich freigestellt.
    Zum Bahnwärterhäuschen steuerte er kurz entschlossen, zu Achim Felgentreu, und hierbei fuhr er schneller als eben noch, ein bißchen auf die Tube zu drücken, das durfte er jetzt schon
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