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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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zurückgepumpt. Dankbar lächelte Achim. Sein Schädel brummte, sein Hintern vibrierte. Blut floß ihm aus der Nase über den Mund zum Kinn und teilte sich da in einen Strom, der knapp an der aufragenden Gurgel vorbeirann, und in einen, der sich seinen Weg unterhalb des rechten Ohres suchte, von wo er auf die zerschürfte, beinahe hautlose Schulter tropfte. Achim, an den Flußbetthuckeln Thüringens wundgeschlagen wie mancher Moses an den Klippen von Gibraltar, wollte aber nicht jammern, auf keinen Fall wollte er das, und so fragte er Willy mit, wie er doch hoffte, fester Stimme: »Was war’n los?«
    »Gibt’s kaum was zu erzählen«, sagte Willy. Nicht die Stunde des Prahlens; zum einen hatte er ein schlechtes Gewissen, weil ja er es gewesen war, der nicht hatte genug kriegen können, und Achim hatte es dann büßen müssen, zum anderen brauchte Achim Ruhe, man höre doch nur das zittrige Stimmchen eben. »Hab mich die ganze Zeit an dem Ferkel festgehalten. Hat schön gedämpft. War dann irgendwie hin, das Kerlchen.« Er lachte kurz auf, Willy, mit einer Mischung aus Scham und Stolz. »Mußte mich ja auch um dich kümmern. Bist rumgetrieben wie ’ne Leiche.«
    Beide schwiegen eine Weile, ehe Achim fragte: »Und mein … ich mein … mein Ferkel?«
    Willy runzelte die Stirn, wandte sich zur Saale um, die hier schon wieder friedlich dahinfloß, und zuckte mit den Schultern.

Die Trauerfeier
    Rudolf Werchows Beerdigung, die einigermaßen turbulent enden sollte, begann ganz so, wie es üblich ist für eine Totenfeier in unseren Breiten, in voller Übereinstimmung mit den Gesetzen der Pietät, langsam, getragen, samtig, orglig.
    Die Eisenstreben des hohen Friedhofstores verloren sich im Novembernebel, daneben die braungrüne Hecke franste ins Nichts. Obwohl kein Regen fiel, war es derart feucht, daß Rudis Sohn Willy, wenn er mit einer Hand durch sein Haar fuhr, sie anschließend so schüttelte, als müsse er einen Schwall lästiger Tropfen loswerden. Er zog ein angeekeltes Gesicht dabei, aber das war ohne Zweifel eine übertriebene Geste, eine der Ungeduld, er hatte einfach Mühe mit dem Warten.
    Übrigens war das Haar, das er durchpflügte, dunkelbraun, seidig glänzend, gewellt. Willy trug es ungescheitelt nach hinten gekämmt, so daß seine breite, von zwei waagerechten Falten durchzogene Stirn um so mehr zur Geltung kam. Nach unten hin wurde sein Gesicht schmaler. Es bildete ein V, wie auch Willys muskulöser Körper eins bildete, das war selbst jetzt, da er in einem langen Mantel steckte, der ihm bis an die Knie reichte, unverkennbar. Der Mantel spannte vor der Brust, aber nicht vor dem Bauch. Im Grunde hatte dieser kräftige und bei aller Kraft doch elegant wirkende Mittvierziger nur einen Schönheitsfehler, und das war sein zu klein geratener Mund. In die Öffnung mochte eine Pflaume hineinpassen, aber nichts Größeres. Tat nun der arme Kerl sein Mündlein auf, kamen ein paar fürchterlich schiefe, an den Rändern vergilbte Zähne zum Vorschein, die sich im erbitterten Kampf um den wenigen Platz schon früh heillos ineinander verhakt und verkeilt hatten. Dieser nicht mehr behebbare Makel war Willy alles andere als einerlei: Bei jedem herzhaften Lachen mußte seine Malaise ja auch für den Rest der Welt offenbar werden. Nur dadurch, daß sie der Welt offenbar wurde, entstand sie überhaupt erst so richtig! Willy wollte sie verbergen, darum hatte er sich im Laufe der Zeit angewöhnt, so wenig wie möglich zu lachen, jedenfalls nicht selbstvergessen, nicht mit weit aufgerissenem Mund. Ersatzweise lächelte er mit vorsichtig hochgezogener Oberlippe, und das verlieh ihm einen Ausdruck von Unentschlossenheit, ja Unsicherheit, er bekam dann etwas Hasenartiges, das überhaupt nicht zu seinem kernigen Wesen zu passen schien.
    An Willys Arm hing, schlank und starr, seine Frau Ruth. Sie hatte ihr langes, schon ein wenig dünnes blondes Haar zu einem Knoten gebunden und mit einem breitkrempigen Hut bedeckt. Dazu trug sie einen schwarzen Schleier, wie süditalienische Witwen es tun. Ein in Schüben wehender Wind drückte ihr die feine Gaze auf die bleichen Wangen, was sie aber wohl nicht bemerkte. Mit großen unbeweglichen Augen stand sie da, mit den Augen eines Fisches in einem feingeknüpften Netz.
    Beide schwiegen, jeder auf seine Art, und jeder auch ganz für sich, während die Kinder, die neben ihnen einen Halbkreis gebildet hatten, sich zuweilen ein paar Worte zuflüsterten; so wartete man auf das Erscheinen der
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