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Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel

Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel

Titel: Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
Autoren: Ellis Peters
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können, und dann werden wir sehen!
    Als er an der Seite seines neuen Helfers im raschelnden Erbsenstroh arbeitete, war der Junge rot im Gesicht und schwitzte. Er atmete schwer, aber sein Arbeitstempo behielt er bei. Cadfael trug einen Arm voll getrockneter Halme an den Rand des Feldes und sagte: »Wir machen hier keine Zwangsarbeit, Junge. Mach dir den Oberkörper frei, dann fällt die Arbeit leichter.« Und er streifte seine Kutte, die er schon bis zum Knie geschürzt hatte, von seinen starken, sonnengebräunten Schultern, so daß sie, von seinem Gürtel gehalten, herabhing.
    Die Reaktion war merkwürdig. Der Junge hielt kurz inne und sagte mit bewundernswerter Gelassenheit: »Danke, es geht ganz gut so!« Aber seine Stimme war nicht so tief und heiser wie vorher, und als er die Arbeit wieder aufnahm, stieg eine deutliche Röte über den schlanken Hals in seine Wangen.
    Durfte man daraus die naheliegenden Schlüsse ziehen?
    Möglicherweise hatte er ein falsches Alter angegeben – der Stimmbruch war vielleicht noch nicht lange her. Und vielleicht trug er unter seinem Kittel kein Hemd und schämte sich, seinem neuen Bekannten dies einzugestehen. Nun ja, es gab ja noch andere Methoden. Aber dieses Problem sollte besser gleich geklärt werden. Wenn das, was Cadfael vermutete, der Wahrheit entsprach, mußte die ganze Angelegenheit wohl bedacht werden.
    »Da ist schon wieder dieser Reiher und räubert in unseren Fischteichen!« rief er plötzlich und wies mit ausgestrecktem Finger auf den Meole-Bach, in dem der Vogel watete. Gerade legte er seine riesigen Schwingen zusammen.
    »Wirf einen Stein hinüber, Junge! Du bist näher dran als ich.«
    Der Reiher ließ sich nur selten sehen und war gewiß kein Räuber, aber wenn Cadfael recht hatte, würde ihm schwerlich etwas geschehen.
    Godric hob einen Stein auf und warf ihn in die Richtung des Vogels. Er holte weit aus, legte das ganze Gewicht seines schmächtigen Körpers in den Schwung und schleuderte den Stein in die seichte Stelle des Baches. Obwohl er den Reiher um mehrere Meter verfehlte, schreckte das Klatschen den Vogel auf.
    »So, so!« dachte Cadfael und begann scharf nachzudenken.
    In seinem Heerlager, das sich von einer Schleife des Flusses Severn zur nächsten erstreckte und damit den gesamten Landzugang zur Burgsiedlung blockierte, feierte und wütete König Stephen. Er belohnte die wenigen loyalen Einwohner von Shrewsbury – loyal ihm gegenüber! –, die ihm ihre Gefolgschaft anboten, und plante seine Rache an den vielen, die nicht erschienen waren.
    Er war ein großer, lauter, gutaussehender und einfältiger Mann mit sehr hellem Haar und einem sehr gut geschnittenen Gesicht. Im Augenblick war er völlig verwirrt über den Widerstreit zwischen seiner angeborenen Gutmütigkeit und dem schmerzhaften Gefühl, daß ihm Unrecht widerfuhr. Es hieß, er sei etwas langsam von Begriff, aber als sein Onkel Henry gestorben war und keinen Erben außer einer Tochter hinterlassen hatte (die, wenn sich auch die Vasallen ihres Vaters gehorsam seinem Willen gebeugt und sie als Königin anerkannt hatten, durch ihren aus Anjou stammenden Ehemann benachteiligt war und sich in Frankreich aufhielt), da jedenfalls hatte Stephen mit bewundernswerter Schnelligkeit und Entschlossenheit reagiert. Er hatte seine potentiellen Untertanen dazu gebracht, ihn als Herrscher zu akzeptieren, noch bevor sie ihre eigenen Interessen abwägen, geschweige denn sich an ihren widerwillig geleisteten Treueeid erinnern konnten. Warum also schien dieser anfangs so erfolgversprechende Staatsstreich auf einmal schiefzugehen?
    Das würde er nie verstehen. Warum hatte sich die Hälfte der einflußreichen Adligen, die er für eine Zeitlang so verschreckt hatte, daß sie nichts unternahmen, nun plötzlich gegen ihn erhoben? Plagten sie Gewissensbisse? Waren sie von Widerwillen gegen einen König ergriffen, der die Macht an sich gerissen hatte? Oder hatte sich ihrer gar eine abergläubische Furcht vor König Henry und seinem Einfluß bei Gott bemächtigt?
    Stephen war gezwungen, die Opposition gegen ihn ernst zu nehmen. Er hatte zu den Waffen gegriffen und jenen Weg eingeschlagen, der seiner Natur entsprach: Er hatte hart zugeschlagen, wenn er dazu gezwungen war, aber allen, die es sich anders überlegten, die Türen weit offengehalten. Und was war dabei herausgekommen? Daß er seinen Feinden Schonung gewährte, hatte man ausgenutzt und ihn dafür verachtet. Als er nordwärts, in Richtung der Stützpunkte der
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