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Broken Lands

Broken Lands

Titel: Broken Lands
Autoren: Kate Milford
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aufgewachsen, ehe sie und ihre Mutter nach West Brighton gezogen waren, und zwölf in Brooklyn war anders als zwölf in der Alten Welt. Kenntnisse im Walzertanzen bedeuteten viel eher einen Job in einem Tanzlokal, sobald sie für sechzehn durchgehen konnte, was vermutlich nicht mehr lange dauern würde. Sie war groß und knochig, wie ihre Mutter, und sie hatte auch diese einzelne dunkelgraue Locke in ihrem ansonsten rabenschwarzen Haar geerbt, die sie hinter ihr Ohr klemmte und partout nicht färben wollte. Alle zwei Wochen gab es deswegen Streit zwischen Mutter und Tochter, und Sam hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in dieser Zeit durch Abwesenheit zu glänzen, um nicht in die Debatte mit hineingezogen zu werden, indem man ihn um «seine Meinung als Mann» bat.
    Im Augenblick warf das Mädchen Sam einen entschuldigenden Blick zu und verdrehte die Augen. Sam grinste und zuckte mit den Schultern. Die Tanzstunden ersparten ihm einen Teil seiner Miete, und da Ilana sowieso den Erben des Astor-Vermögens heiraten würde, musste er nicht befürchten, dass Mrs. Ponzi versuchen würde, sie beide zu verkuppeln.
    «Ich habe angeboten, für dich einzuspringen, aber offensichtlich bin ich zu groß.» Constantine Liri beugte sich vom Flur aus ins Wohnzimmer, eine Tasse samt Untertasse in der Hand. Er richtete sich auf und ging zu einem der fadenscheinigen, viel zu dick gepolsterten Sessel. Er war siebzehn, außer Sam der einzige andere Mieter der Ponzis und Sams ältester Freund. Sie waren gemeinsam in den Mietshäusern von Smoky Hollow in Brooklyn aufgewachsen.
    Dass er das linke Bein nachzog – infolge einer Verletzung, die er sich vor einem Jahr beim Bau der New York und Brooklyn Brücke zugezogen und wegen der er seinen Job verloren hatte –, war heute kaum zu sehen. Sein strohblondes Haar war ordentlich gekämmt und gescheitelt. Sam sah, dass Constantine seine besten Hosen und das Sonntagshemd trug. Er war unterwegs gewesen, auf Arbeitssuche.
    Sam zog fragend die Augenbrauen hoch. Fast unmerklich schüttelte sein Freund den Kopf. Er hatte kein Glück gehabt.
    Sam und Constantine, Mrs. Ponzi und Ilana. Vier Entwurzelte aus Brooklyn, die durch das bemerkenswerte System der Wohnungsvermietung zu einer Familie zusammengewachsen waren.
    Sam streckte dem Mädchen die Arme entgegen, während seine Vermieterin die alte Spieluhr aufzog, und wieder ging ein Tag in Coney Island zu Ende.
    Am Strand erwachte der schwarzäugige Mann in den Schatten unter dem Anlegesteg. Die Sonne war untergegangen. In wenigen Minuten würden die gebogenen Laternen, die entlang des Strands auf hohen Pfosten angebracht waren, aufflammen. Der richtige Zeitpunkt war gekommen.
    Er stand auf, fegte sich den Sand von den Hosenbeinen und zog sein Jackett wieder an. Dann trat er mit der Schuhspitze gegen den Verschluss der Reisetasche, der sich daraufhin öffnete. Er bückte sich, hob die Tasche an, drehte sie um und schüttete den Inhalt in den Sand. Und heraus fiel ein Haufen uralter, morscher Knochen.
    Aus seiner Weste zog der schwarzäugige Mann eine verbeulte silberne Taschenuhr, die er achtlos zwischen die menschlichen Überreste warf. Er vergewisserte sich, dass er und der Knochenhaufen auch ungestört waren. Dann rollte er seinen Kopf von einer Seite zur anderen, als wollte er eine unangenehme Verspannung im Nacken lösen, betrachtete kurz die Knochen und seufzte herzhaft auf.
    «Erhebt euch und schüttelt euch aus, ihr verdammten Knochen», sagte er schließlich. «High Walker, der große Läufer, ist da!»
    Ein Wind erhob sich entlang des Strandes, ließ Hüte und Röcke und Decken tanzen. Der Mann strich sich das fliegende Haar aus dem Gesicht und trat einen Schritt zurück. Wo der Knochenhaufen gelegen hatte, erhob sich eine wirbelnde Masse aus Sand und nahm Form an.
    Die Gestalt drehte sich und kreiselte wie ein kleiner Tornado, zog Sand und Kiesel und kleine Fetzen Seetang nach innen, sammelte Muschelsplitter, Papierschnipsel und Treibholzstücke auf, wuchs zu einer immer dichter werdenden Wolke an, die etwa auf Kniehöhe des schwarzäugigen Mannes schwebte. Dann begann sie zu pulsieren, veränderte und wandelte sich, formte sich aus.
    Der Wind, der den Strand herauf und herunter gejagt war, legte sich wieder. Der dunkle Schemen, immer noch verschwommen und undeutlich an den Rändern, streckte sich. Es war ein großer Mann.
    «Walker», sagte er mit knirschender Stimme. «Was ist …» Er hielt inne und spuckte aus. «Sand? Ist das etwa Sand,
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