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Brixton Hill: Roman (German Edition)

Brixton Hill: Roman (German Edition)

Titel: Brixton Hill: Roman (German Edition)
Autoren: Zoë Beck
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andererseits. Es gefiel ihr. Sie mochte Gegensätze. Veränderung.
    Wenn sie aus dem Fenster ihrer Wohnung schaute, dann sah sie Wasser und Hochhausfassaden und die O 2 -Arena auf der anderen Seite der Themse.
    Canary Wharf war der Mittelpunkt der Isle of Dogs. Der neue Londoner Osten. Das Herzstück der Docklands: Es wuchs immer weiter, es würde noch zwanzig Jahre lang eine Großbaustelle sein.
    Man hatte nur vergessen, tatsächlich ein neues Herz einzupflanzen. Wenn man ganz genau hinsah, war Canary Wharf tot.

Kapitel 4
    D er Limeharbour Tower war nicht weit von Ems Wohnung entfernt, aber sie durfte nicht nach Hause.
    »Zu gefährlich«, hieß es.
    »Personalien müssen aufgenommen werden.«
    »Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit.«
    Jeder hatte eine Antwort, die keine war.
    Em wurde eine Decke über die Schultern gelegt. Sie wollte keine.
    »Es ist besser für Sie«, sagte der Polizist und lächelte sie an.
    Em gab die Decke wortlos zurück. Sie war mit den anderen, die sich im Limeharbour Tower aufgehalten hatten, in einen Büroblock in der Nähe gebracht worden und half nun mit, dem marmornen Foyer den Charme eines Flüchtlingslagers zu verleihen. Überall Decken und Plastikbecher mit süßem Tee: Es musste eine Katastrophenschutzeinheit geben, die nur zum Teekochen abgestellt war. Polizisten und Sanitäter bewegten sich durch Hunderte von Menschen. Jemand sagte, in den oberen Etagen seien noch mehr untergebracht. Über allem lag ein Raunen, das tiefer klang als sonst bei Menschenmengen üblich. Keiner sprach wirklich laut. Einzelne Schluchzer, mal aus der Nähe, mal weiter entfernt, brachen gelegentlich das dumpfe Surren auf. Em registrierte die unruhigen Blicke der bleichen Gesichter. Nicht zu wissen, was geschehen war, bedeutete für alle die größere Katastrophe. Em fragte sich, wer von Kimmys Tod wirklich betroffen war.
    Jono kam auf sie zu und lächelte unsicher. Seine Augen waren rot. Vom Weinen, das wusste sie. Er weinte wirklich wegen Kimmy.
    »Ich komm mir so blöd vor«, sagte er. »Da werd ich einfach ohnmächtig, und weil alle um mich rumstehen, merkt keiner, dass Kimmy …« Er hatte wieder Tränen in den Augen. »Sorry«, murmelte er und wischte sich übers Gesicht. »Du bist so … ruhig. Hattest du keine Angst?«
    »Doch. Aber nicht davor zu sterben.«
    Jono kaute auf seiner Unterlippe herum. »Ich weiß echt nicht, was da mit mir los war.«
    »Panik.«
    »Aber Kimmy …«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Em. »Auch Panik. Nur schlimmer.« Eine Weile betrachtete sie wieder die Menschen, die um sie herum waren. Frauen, die sich hilflos gaben. Männer, die galant wirken wollten. Wie Extremsituationen die Gesellschaft doch um mindestens hundert Jahre zurückwarfen. Bei aller Sympathie und Begeisterung für die Wissenschaft wollte Em nicht glauben, dass Männer die geborenen Versorger waren. Auch wenn alles gerade danach aussah.
    Jono schien ihre Gedanken zu lesen.
    »Ich bin echt ein Mädchen, was?« Es sollte wohl wie ein Scherz klingen.
    »Nicht lustig«, sagte Em.
    »Sorry.« Er lehnte sich an eine der Marmorsäulen und glitt daran herunter. »Ich hab noch nie gesehen, wie jemand …«
    »Du hast es nicht gesehen«, unterbrach sie ihn.
    »Aber …«
    » Ich hab sie fallen gesehen, okay? Du hast überhaupt nichts gesehen.«
    Er schwieg eine Weile. Dann sagte er, mehr zu sich: »Doch nicht so cool.«
    »Nein. Nicht wirklich.«
    »Aber du wirkst immer so.«
    »Jahrelange Übung.«
    Er nickte gedankenverloren, als wüsste er genau, was sie meinte. Em hockte sich neben ihn, betrachtete ihn von der Seite. Vorhin, als er ihr ohnmächtig vor die Füße gefallen war, hatte sie sich darauf konzentriert, ihn in eine stabile Position zu bringen, sich darum gekümmert, dass er wieder zu sich kam. Sie hatte jemandem zugerufen, er solle Wasser aus dem Wasserspender neben dem Aufzug holen. Von einem anderen forderte sie das Jackett, um es Jono unter den Kopf zu legen. Die beiden Männer waren froh gewesen, Anweisungen zu bekommen, und hatten diese dankbar, fast schon glücklich ausgeführt. Sie halfen, weil es ihnen selbst half, vor der eigenen Angst zu fliehen.
    Jono war ein hübscher Junge, Anfang zwanzig, sehr schlank, mit der Figur eines Balletttänzers. Dunkle Locken, dunkle Augen, helle Haut. Südafrikaner mit portugiesischen und englischen Wurzeln. Seit einem Monat machte er ein Praktikum in der Buchhaltung der Agentur, hatte er erzählt, und er hatte schnell gemerkt, dass es nicht das Richtige für ihn
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