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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger
Autoren: Will Berthold
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leise, aber bestimmt antreibt. Dabei sieht er mechanisch zurück, wo sich das Schicksal Müllers erfüllen muß. Aber er sieht nur eine Baracke, aus deren Schornstein dunkle Schwaden quellen, die schwarz, dreckig und schwer zu Boden sinken, wie Kains, des Brudermörders, Opferrauch …
    Dann stöbert er Petrat auf, der sich verkrümelt hat, und tritt ihn in die Seite. Er liest des Gorillas Widerstand im Gesicht und schlägt ihm in die Fresse. Er bemerkt den Epileptiker Kirchwein, der unter der Last zusammenbricht. Aber er greift nicht zu. Hilfe ist hier bestenfalls Schwäche oder Feigheit, wenn sie nicht überhaupt als Verschwörung gewertet wird …
    Er vergleicht Zeit und Soll. Es stimmt. Der erste Zug hat sein Kontingent bis jetzt sogar leicht übererfüllt. Vonwegh geht an seinen Leuten vorbei, sieht durch sie hindurch. Er beobachtet, wie sie den Hass verschlucken oder schon um seine Gunst betteln. Beides läßt ihn kalt. Nichts ritzt ihm die Haut. Er ist der beste Führer, den der erste Zug je hatte. Dabei ermuntert er nicht, brüllt nicht zusammen, verspricht nichts, droht nicht einmal …
    Seit Minuten erst führt er den Zug, aber er hat die Leute schon im Griff. Er wird die Untauglichen vernichten und die anderen benutzen. Er wird sie beobachten und dann sortieren …
    Vonwegh hört Schritte und richtet sich auf. Er sieht eine Russin, die man vorbeiführt, und ganz schnell verwandelt sich sein Gesicht. Eine Sekunde nur. Einen Atemzug lang. Die Gefangene ist noch jung. Sie wirkt kleiner als Karen, ihr Gesicht ist breiter, und ihre Haare sind dunkler. Aber etwas ist da, was sie Karen so ähnlich macht: Jede Frau ist eine Karen, denkt Vonwegh, die man wegreißt und so abführt. Jede Frau trägt ihr Gesicht, wenn das Leid es formt.
    Karen … denkt er sehnsüchtig und sieht der Russin nach.
    Damals, in Berlin, nach Jahren hielt er sie endlich im Arm. Sie sah zu ihm auf. Es war wie beim ersten Mal und doch ganz anders. Sie gehörten zusammen, auch wenn die Zeit sie auseinander gerissen hatte. Seine Hand, die in den letzten Jahren nur verstanden hatte, sich um einen Gewehrkolben zu legen, streichelte Karen behutsam wie blattfeines, kostbares Porzellan.
    »Ich träume …«, sagte sie leise.
    »Ich habe Jahre geträumt …«, erwiderte er.
    Paul ließ sie los. Nur seine Augen hielten sie fest. Sie sahen sich unverwandt an. Sie spürten plötzlich Angst. Nicht vor der Umwelt, nicht vor den Nachbarn, nicht vor der Polizeimaschine, die Vonwegh erbarmungslos jagen, stellen und vernichten würde.
    Die beiden hatten nur Angst um sich selbst, Angst, daß sich etwas geändert haben könnte, daß ein falsches Wort käme, daß ihre Zärtlichkeit fremd wirkte.
    »Und jetzt?« begann Karen wieder.
    »Du wohnst allein hier?« fragte er.
    Sie nickte.
    Paul sah an ihr vorbei, betrachtete die Möbel, die ihm zuerst so feindselig erschienen waren. Was bin ich für ein Dummkopf, überlegte er. Das ist doch Karen, ihr Geschmack, ihr Wesen, ihre Art zu leben. Jedes Stück ist doch ein Teil Karens, so sicher, so fein, so fest dabei, wie sie selbst. Kein Zuviel und kein Zuwenig, schön und sachlich, schlicht und doch ein klein wenig verspielt, so daß man ihr Lächeln erkennen kann …
    »Sind sie immer noch hinter dir her?« fragte die junge Frau unvermittelt.
    »Ja.« Es klang scharf und endgültig.
    Sie sah zu ihm auf. In einem hatten sie sich nie verstanden: Karen wollte nichts mit Politik zu tun haben. Dabei wehrte sie sich instinktiv gegen flatternde Fahnen und lärmende Lautsprecher. Es erschien ihr so geschmacklos, daß es sich für sie automatisch erledigt hatte. War das auch nicht unwesentlich?
    Karen wollte lieben und geliebt werden.
    Mehr gab es für sie nicht. Weniger wollte sie nicht haben. So begriff sie nie, was Paul in Spanien zu suchen hatte. Für was ein Krieg auch immer geführt wird, in jedem Fall erschien er Karen widerwärtig und zwecklos. Deshalb mußten ihr beide Parteien gleichgültig sein; deshalb blieb ihr auch die Paul Vonweghs fremd, ja feindlich. Weil sie ihn so sehr liebte, glaubte sie, ihn später wegen seines spanischen Abenteuers zu hassen. Aber mit der Zeit lief sich ihr Zorn an ihren Gefühlen wund, denn sie begriff allmählich: Ein Mann seines Schlages würde niemals einen Abenteurer abgeben … Es mußte etwas dahinterstecken, das groß, stark und schön war, das sie eifersüchtig machte, weil sie es nicht begreifen konnte.
    »Ich wollte dich nur sehen«, sagte Paul leise, »einmal nur
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