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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger
Autoren: Will Berthold
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im Schlachthof, das sich im letzten Moment noch einmal losreißen konnte.
    Dreißig, vierzig Meter Vorsprung gewinnt Müller.
    Hinter ihm ist Kordt.
    Die Männer des ersten Zuges stehen da und verfolgen die Jagd auf Leben und Tod aus schrägen Augenwinkeln. Einige sehen weg, um ja keine Regung in ihren Gesichtern aufkommen zu lassen. Sie haben sich längst daran gewöhnt, ihre Gefühle so sorgfältig zu verstecken wie ihre Brotration.
    Kortetzky, der Gorilla, blinzelt Weise mit seinen kleinen Knopfaugen ergeben zu. Petrat weiß, daß er hoch in Gunst steht. Fleischmann liegt noch am Boden. Kirchwein schlottert vor Angst.
    Nur Paul Vonwegh steht wieder auf Distanz. Seine Miene ist unbeteiligt, fast arrogant, als wollte sie ausdrücken: Was geht mich das an? Was habe ich damit zu tun? Wer wie ich vom Hass für den Hass lebt, kennt kein Mitleid. Wozu auch? Wer Fehler macht, ist selbst daran schuld …
    Inzwischen hat Oberscharführer Weise sein neues Opfer gefunden. »Ach, seh' mal einer an«, sagt er und baut sich vor dem am Boden liegenden Fleischmann auf. »Wohl noch nicht ausgeschlafen, Herr Hauptsturmführer?«
    Fleischmann steht stramm.
    »Schönen guten Morgen«, fährt der Oscha gefährlich leise fort. »Vortreten!« brüllt er dann.
    Der Mann folgt mechanisch.
    »Schiß, was?« fragt Weise lauernd.
    »Jawohl, Oberscharführer«, antwortet Fleischmann beflissen.
    »Erzählen Sie doch mal den anderen, was Sie ausgefressen haben.«
    Der Degradierte zögert keine Sekunde: »Ich bin auf eine Luftwaffenhelferin losgegangen … mit der Pistole … Ich wollte …«
    Weise wird es zu langweilig. Kordt und Müller fallen ihm ein. Er dreht sich um. Nichts mehr zu sehen. Gleich wird's knallen, überlegt er, mir kommt keiner aus … Er wendet sich wieder seinem Haufen zu. »Kirchwein«, ruft er den Epileptiker auf, »was ist ein Offizier, der auf eine deutsche Luftwaffenhelferin mit der Pistole losgeht?«
    »Ein Schwein.«
    »Warum so bescheiden?«
    »Eine Sau«, ruft Kirchwein, so laut er kann.
    »Haben Sie gehört, was Sie sind?« fährt Weise den ehemaligen Hauptsturmführer an.
    »Eine Sau«, wiederholt Fleischmann ergeben. Aus einem bulligen Herrenmenschen wurde ein beschissener Bewährungssoldat.
    »Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung«, versetzt der Oberscharführer. Er schaut wieder in die Fluchtrichtung Müllers, spuckt aus, zuckt die Schultern. »Schade …«, wendet er sich wieder an Fleischmann, »ich wollte Sie beim nächsten Einsatz zum Zugführer ernennen … Aber Sie sind mir zu schlapp …«
    »Jawohl, Oberscharführer.«
    Weise überlegt. Es gibt bei Dirlewanger keine festen Gruppen- und Zugführer. Selbst die Kompaniechefs werden nur jeweils für eine Aktion ernannt. Sie bleiben gewöhnliche B-Soldaten, nur durch einen weißen Streifen am Ärmel als Unterführer für die Dauer eines Einsatzes erkennbar.
    Der Oberscharführer geht ganz dicht an die Männer des ersten Zugs heran, bleibt vor Paul Vonwegh stehen. »Hm«, sagt er und starrt dem mittelgroßen, drahtigen Mann in die Augen; er bemerkt keine Angst und wundert sich flüchtig. »Ich mache einen Versuch mit Ihnen«, sagt er, »Sie übernehmen den Zug.«
    Vonwegh nickt.
    »Los!« befiehlt Weise. »Rücken Sie mit dem Haufen ab zur Holzarbeit … Muß mich jetzt um die beiden Vögel kümmern.«
    Vonwegh tritt vor. Seine Stimme ist ruhig, klar, als sei sie das Kommandieren gewohnt. Der Gorilla mustert ihn tückisch. Aber Vonwegh starrt ihn nur an, und Kortetzky trottet geduckt weiter. Eine Minute später erreichen sie den Arbeitsplatz.
    Der neue Zugführer sieht ihnen scharf auf die Finger, schenkt ihnen nichts. Das Soll wird erfüllt, Vonwegh läßt keinen Zweifel daran aufkommen. Weder ist er ein Streber noch ein Schinder. Aber im Gegensatz zu den anderen hat er ein Ziel, das über Essen, Trinken, einen Druckposten und am Leben bleiben hinausgeht. Hass ist das Korsett, das ihn aufrichtet, der Motor, der ihn antreibt, und die Kraft, die ihn stützt.
    Paul Vonwegh verlor schon damals, in Spanien, die letzte Illusion. Er kennt seine Gegner wie ihre Opfer. Er kommt frontal nicht gegen sie an, aber er kämpft weiter, im kleinen. Er baut auf. Er kontert seine Gefühle nieder. Er verschwendet seine Energie nicht an dem rundlichen Müller oder dem schmächtigen Kordt. Viel wichtiger ist, wer die beiden denunzierte; zu klären bleibt, wer der Schuft, der Verräter ist. Wer? lautet die Lebensfrage. Wer? denkt Vonwegh, während er sie
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