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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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sogar mit Strom, den sie von weit entfernten Kraftwerken bezogen, ich erinnere mich, wie die Masten die Landschaft teilten, und es war verboten, diese zu erklimmen, weil das angeblich gefährlich werden und schlecht ausgehen könnte (offenbar saßen auch in Strommastenlaunige Geister), und überhaupt war Strom einfach unbezahlbar.
    An meine Mutter kann ich mich kaum (und doch blieb sie immer präsent) erinnern, sie starb und nahm alles mit, was ich von ihr zu kennen glaubte, zurück blieben der Onkel mit der Tante und mir. Einmal geschah etwas Seltsames, wir feierten gerade einen meiner Geburtstage (kurz bevor die Brenntage ausgerufen wurden), ich bekam aus dem Nichts einen Brief, die ersten (und keinesfalls letzten) Zeilen meiner Mutter. Stolz reichte ich dieses Schreiben dem Onkel, kaum, dass ich den Postkasten geleert hatte, im Haus zählte dies schon seit Längerem zu meinen Aufgaben … die Post holen und den Weg bis zum Haus fegen und den streunenden Katzen etwas Milch in ihre Schüsseln träufeln und so weiter, ich tat dies jedoch gern, und die «Pfotenschleicher» (so nannte ich Katzen mitunter) genossen es, sie räkelten sich und miauten. Auf dem Brief standen ganz deutlich mein Name und die Anschrift des Onkels, bei genauerer Betrachtung wies sogar die Briefmarke etwas Ähnlichkeit mit mir auf, zeigte sie doch einen kleinen Jungen mit dunklen Haaren und buschigen Augenbrauen, der eine Angel in der Hand hielt und vor sich hin lächelte (der Markenwert betrug 5 Schilling). Der Onkel wog den Brief in seinen Händen, er schien zu überlegen, was er wohl beinhalten mochte, reichte ihn schließlich an die Tante weiter, und die las ihn uns laut vor.
    Ich bekam fortan noch einige Jahre lang regelmäßig Post von meiner verstorbenen Mutter, eine Verfügung von ihr machte das möglich, erklärte mit daraufhin der Onkel und erinnerte sich … dass Mutter, als sie erfuhr, sie müsse sterben,ein Jahr lang nur Briefe schrieb, jeden Tag verfasste sie irgendwelche Zeilen an mich, die sie sorgfältig adressierte und in bunte Kuverts steckte. Kurz vor ihrem Tod übermittelte sie alles irgendeinem Notar in einer fernen Stadt, beauftragte diesen, die Briefe nach und nach (sie legte die genaue Reihenfolge fest) an mich abzuschicken, und schlief danach «in Ruhe» ein. Soweit man noch von Ruhe sprechen konnte, wenn man litt und nicht mehr aufstehen konnte, wenn die Organe, eines nach dem anderen, den Dienst versagten und die Schmerzen sich ihren Weg nach außen bahnten, in kleinen Luftblasen stießen sie durch die Haut und zerplatzten wie Kohlestücke, die im Feuer verglühten … Dies alles und noch viel mehr wusste mein Onkel.
    Deine Mutter hatte keinen schönen Tod
, sagte er, und seine sonst so feste Stimme klang in diesen Momenten ganz und gar nicht unerschütterlich, er wandte sich ab und konnte mir dabei nicht einmal in die Augen sehen.
Der Tod deiner Mutter ging allen nahe, den Nachbarn, Freunden und Verwandten, alle sahen zu, wie sie immer weniger wurde, stetig tiefer in ihre Kissen sank, und irgendwann fanden wir nur noch die Abdrücke ihres Körpers in den durchschwitzten Daunen, bis schließlich auch diese verschwanden, bis sie die Zugluft aus den Kissen blies und alles von ihr verblasst war, das Lächeln, all die Blicke und der Geruch
, der Onkel atmete tief durch … An all das konnte ich mich überhaupt nicht erinnern.
    Bis zu ebenjenem Tag, an dem Mutter wieder in mein Leben trat, mich in ihrem ersten Brief darauf hinwies, dass sie zwar fort sei, jedoch keinesfalls vergessen werden wollte, dass sie mir noch manches mitzuteilen hätte und dass dieJahre irgendeine Wahrheit ans Licht bringen würden, davon schien sie überzeugt zu sein, und je älter ich wurde, desto mehr wollte ich dem auch Glauben schenken. Als ich noch jung war, wunderte ich mich noch über die Handschrift meiner Mutter, nur Familienmitglieder vermochten, sie zu lesen, alle anderen erkannten nur Striche und Kreise, unleserliches Beiwerk (wie Krähenfüße im Schnee) einer Verschollenen, die mir allerdings manchmal im Traum erschien und ein leises Schlaflied sang.
    Der Onkel erzählte mir, dass die Brenntage einen Blick in die Vergangenheit erlauben, wann immer ich also glaube, vom Weg abzukommen, solle ich ein Feuer machen und tief durchatmen. Es sei möglich, in die Zeit der Höhlen und Felle zurückzuschauen, als Männer und Frauen noch Knochen und Reisig verbrannten, um sich (unabhängig voneinander) aufzuwärmen.
Das Feuer hielt die Menschen
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