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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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sie ließen sich bereitwillig streicheln und verbanden das Dies- mit dem Jenseits, niemand konnte sich ihrer Wirkung entziehen. In ihre Augenhöhlen setzten wir bunte Glasmurmeln ein, die der Onkel von irgendwoher mitbrachte, er bevorzugte Grün und Gelb und Schwarz. In der Adventszeit bauten wir sie sogar im Garten auf, wir hatten (so gesehen) die schönste Weihnachtskrippe weit und breit, nur das Jesuskind war einekleine Fledermaus, aber kaum jemand sah genau hin, und ich hatte sie doch bei uns auf dem Dachboden gefunden, sie hatte dort einsam und vergessen gelegen, wir konnten sie auf keinen Fall liegen lassen.
    Selbst die feinen Nachbarn lobten unser Werk, obwohl auch manche Dame abfällig die Nase rümpfte, sie trug wohl lieber Zobel und Ozelot und Nerz und hatte fürs Weihnachtsfest nicht allzu viel übrig. Doch auch andere Gärten waren bunt geschmückt, Lichterketten und Weihnachtssterne funkelten bis zur Veranda, Leuchtkäfer mischten sich unter die Glühlampen, und mit der Zeit wurde es nahezu unmöglich, sie voneinander zu unterscheiden, sie schaukelten, schunkelten und schwärmten im Wind, selbst wenn ich die Augen schloss, sah ich pulsierende und wild umherschwirrende Punkte in meinem Kopf, dort, wo üblicherweise gar kein Licht hinkommt. An den Hauseinfahrten lehnten manchmal Nikoläuse und zerrupfte Engelswesen, wenn man an ihnen vorbeilief, läuteten ihre Schellenkäppchen, und die geröteten Augen und Nasen konnte man getrost der Kälte zuschreiben, keinesfalls lag es nur am Alkohol.
    Einmal (ich glaube, es war am Christtag) entkam sogar ein Ozelot aus einem der weit entfernten Tiergärten großer Städte (sie brachten die Meldung in den Abendnachrichten), er schlug sich tatsächlich bis zu uns durch und verkroch sich in den Wäldern, wohl der vielen Birken wegen. Es hieß, der Zoodirektor hätte eine hohe Belohnung ausgesetzt, wo doch Ozelots sehr selten waren, schon damals galten sie als ausgestorben. Sie schrieben noch tagelang in den Zeitungen darüber, doch wusste ich damals noch nicht, wieein Ozelot aussah und um welches Tier es sich eigentlich handelte (ob es Federn oder ein Fell hatte, Beine, Flügel, so was eben). Sie wollten ihn jedenfalls lebendig und erteilten in ihren Artikeln allerlei Ratschläge, wie man einen Ozelot am besten stellen könne, sie erklärten etwa das Pirschverhalten, den Fallenbau, die Köder, Reviergröße, Schlafgewohnheiten und die an sich üblichen Beutetiere. Den Beiträgen nach zu urteilen, war so ein Ozelot eher ein «Schädling», ich erinnere mich, dass ich all die Aufregung gar nicht fassen konnte.
    Dem Onkel lief er tatsächlich zufällig über den Weg, halb verhungert und mit stumpfen Krallen, er tötete ihn auf einer Waldlichtung und versicherte mir später, er hätte es aus Mitleid getan,
so ein nahezu ausgestorbenes Tier sehnt sich insgeheim nach dem Tod, nichts ist quälender als das Wissen um die anstehende Einsamkeit
, sagte er zu mir, ich hatte keinesfalls widersprochen.

II. Verschwunden

 
    Lange Zeit glaubte ich, die Brenntage wären der Himmel auf Erden, Gutes und Böses symbolisch (immerhin) vereint, die Töchter der bösen Familien trugen seidene Kleider und die Söhne Krawatten und Pfeifenköpfe in ihren Hosentaschen, ich selbst bekam vom Onkel an einem dieser Feiertage ein Halstuch aus feinstem Ozelot. Es gab Jahre, da tanzte ich mit dem Onkel ums Feuer, wir schmierten uns Ruß ins Gesicht und riefen laut unsere Namen, es war wie im Karneval, und der Winter mochte ruhig kommen, ich weiß es ganz genau, die meisten in unserer Siedlung waren erklärte Feinde des Winters.
    Viele in unserer Siedlung hatten tatsächlich etwas gegen schlechte Witterung, wo doch Schnee und Kälte das Leben lähmten und kaum jemand über die Mittel verfügte, um sich mit Heizöl oder Holzbriketts einzudecken. Bäume durfte man nicht fällen, das brachte (was allseits bekannt war) Unglück, der Onkel und die Tante glaubten daran, und ich tat es ebenso, wo doch die Geister in den Wipfeln der Bäume sonst ihr Zuhause verlieren würden, fortan über das Land wandeln müssten, die zarten Fußsohlen wären für lange Märsche bestimmt nicht geschaffen. Viele der Nachbarn und Verwandten, sogar manche Verwaltungsbeamten glaubten diese Geschichten oder waren sich nicht ganz sicher, ob sie denn nicht doch wahr sein könnten, selbst die Bösen ließen in der Regel ihre Finger vom Holz, sie hatten allerdings Heizöl und Kohle in Hülle und Fülle. Einige heizten ihre Häuser
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