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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Scheiben, manchmal tropfte auch etwas Blut mit in die Backform, wo die Tante doch kurzsichtig war und sich mit dem Messer (unabsichtlich) kleine Schnitte versetzte, die Wunden heilten jedoch schnell. Die Äpfel schmeckten tatsächlich hausgemacht, Weißbrot wurde in Milch getränkt (die Tante mengte etwas Rum hinzu), später legte man alles behutsam in besagte Form, Äpfel- und Brotstücke, Schicht um Schicht, würzte mit Zimt, Vanillezucker und allerlei geheimnisumwitterten Dingen … 180 Grad Oberhitze im Ofen, und fertig waren die sonntäglichen Leckerbissen.
    Die Tante verwahrte ihre Rezepte in einem kleinen Handbuch, das im obersten Regal des Küchenschranks stand, es war streng verboten, dieses zur Hand zu nehmen, denn ich hätte die vielen losen Zettel und Notizen durcheinanderwirbeln können, da kannte die Tante kein Pardon. Manchmal (wenn sie schlief) schlich ich des Nachts in die Küche, um so manches Rezept heimlich abzuschreiben … Die Vorstellung, von der Tante dabei erwischt zu werden, ließ meinHerz höher schlagen, ich schwitzte und konnte später meine zittrige Handschrift kaum entziffern, kein Wunder also, dass mir manches Rezept misslang (allerdings, den Scheiterhaufen konnte ich im Schlaf).
    Scheiterhaufen: 150 ml Milch, 2 Stück Eier, 1 Eidotter, Zimt, 1 Stück Zitrone (Schale), 1 Päckchen Vanillezucker, 1 Esslöffel Kristallzucker, 4 Stück Semmeln; Apfelfüllung: 300 g Äpfel, 2 Esslöffel Kristallzucker, Zimt, ordentlich Rum (typisch Tante!), 2 Esslöffel Mandeln (grob), Butter (flüssig); Schneehaube: 2 – 3 Eiklar, 80 g Kristallzucker. Die Milch mit Eiern, Eidotter, Zimt, Zitronenschale, Vanille und Kristallzucker gut verrühren, danach die Semmeln in dünne Scheiben schneiden, mit der «Eiermilch» übergießen und 20 Minuten ruhen lassen. Unterdessen die Füllung zubereiten, Äpfel schälen, entkernen und in feine Scheiben schneiden, mit Zucker, Zimt, Rum (der so gut roch!) und gehackten Mandeln vermengen. Eine passende Form (einmal benutzte ich sogar Onkels alten Stahlhelm) mit flüssiger Butter ausstreichen, abwechselnd Semmelmasse und Apfelfüllung einschichten und mit einer Lage Semmelstücken abschließen, diese anschließend mit geschmolzener Butter beträufeln. Backrohr auf 180 bis 200 °C vorheizen und den Scheiterhaufen 40 bis 45 Minuten goldbraun backen. Kurz zuvor das Eiklar aufrühren, mit Kristallzucker zu
steifem Schnee
(wir Kinder der Siedlung verwendeten diesen Ausdruck immer dann, wenn wir das Wort «Eis» – aus welchen Gründen auch immer – vermeiden wollten) aufschlagen, den Scheiterhaufen damit bestreichen und 10 Minuten lang überbacken.
    Wohlgemerkt, im Jargon meiner Tante hieß dieser Speisevorschlag
Dzschemlovka
… ein Wort, das ich lange Zeit nicht auszusprechen wagte, weil ich fürchtete, damit einen bösen Zauber heraufzubeschwören, wer weiß schon genau, was alles passieren kann, wenn man zu sorglos mit alten Rezepten hantiert.
    Ein solcher Scheiterhaufen war selbstverständlich nicht mit mittelalterlichen Gepflogenheiten zu vergleichen; ich erinnere mich noch, wie mir der Onkel erzählte, dass man im Mittelalter Frauen verbrannte, weil sie zu laut ihre Meinung sagten und die Flammen auch viel besser (als Männer etwa) nährten.
Gott zu Ehren
, sagte der Onkel,
weil der weibliche Körper mehr Fett enthält
und Fett ein natürlich Brandbeschleuniger sei und dass man Fettbrände daher niemals mit Wasser löschen dürfe, ein Handfeuerlöscher sei das wahre Rüstzeug; der Onkel brachte mir später sogar den Umgang mit einem solchen bei, ich erinnere mich, beherzt versprühte ich flockigen Schaum und freute mich meines Lebens. Jedoch im Mittelalter, was blieb einem schon übrig, vielleicht etwas Erde ins Feuer streuen (war das dann Keramik?), nasse Lappen über die schwelenden Körper legen oder etwas in der Art, ich wusste es nicht, die Brenntage waren allerdings ein guter Anlass, um darüber nachzudenken.
    Im Frühjahr saß der Onkel gerne vor dem Haus und fütterte die Amseln, manchmal auch nur allerlei unnützes Getier, das sich unverhohlen zeigte … Sperlinge, Ratten und Marder, Käfer und Frösche – dass die Letzteren «Nützlinge» waren, erfuhr ich erst viel später. Als ich älter war, nahm mich der Onkel einmal verstohlen zur Seite, wies mit dem Fingerauf einen Frosch und meinte …
wo ein Frosch, da findet sich stets etwas Glück, findet sich keines, liegt es an dir, schau bloß nicht zurück
. Dabei lachte er herzhaft, schlug sich auf
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