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Brennpunkt Nahost

Brennpunkt Nahost

Titel: Brennpunkt Nahost
Autoren: Joerg Armbruster
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Die Rebellenstädte sollen entvölkert, die Bewohner in die Flucht getrieben werden. Das scheint der Plan zu sein. Ein fast alttestamentarisches Strafgericht soll über das eigene Volk hereinbrechen, das es gewagt hat, sich gegen den König zu erheben. Nirgends sollen sich die Bewohner mehr sicher fühlen. Jederzeit können Raketen einschlagen, Bomben fallen, Granaten explodieren. Wie von den Göttern gelenkte Blitze aus heiterem Himmel. Terror pur gegen die eigene Bevölkerung.
    Große Teile der Infrastruktur sind schon zerstört, Elektrizität, Müll, Kanalisation und die Wasserversorgung. Denn darunter leidet Azaz ganz besonders, wie überhaupt die meisten Städte und Regionen Syriens: Wassermangel infolge der Kriegszerstörungen, aber auch wegen einer seit Jahren andauernden Dürre. Daher bohren an verschiedenen Stellen in der Stadt Such trupps nach Wasser. Auch die Krachmacher vor unserem Haus sind Wassersucher.
    »Wir brauchen Wasser, sonst können wir hier nicht mehr lange durchhalten. Das müsst ihr halt aushalten«, hatte unser Gastgeber und Führer Anwar uns gemahnt.
    Anwar, ein Kämpfer bei einer Rebelleneinheit. Seine Kalaschnikow hat er für die Zeit unseres Besuchs in die Ecke gestellt, um uns durch das Kriegsgebiet führen zu können. Auch freute er sich, seine vor einem halben Jahr geborene Tochter nun öfters sehen zu können. Nach unserem Besuch will er zu seiner Kampfbrigade in Aleppo zurückkehren.
    Er wird uns die nächsten Tage begleiten, als kundiger Führer und engagierter Oppositioneller. Anwar spricht begeistert von seinen befreiten Gebieten, fast so, als habe er ganz alleine die Truppen Assads vertrieben.
    Am ersten Tag führt er uns nach Tel Rifa’at. Eine Kleinstadt, eine halbe Stunde von Azaz entfernt, eigentlich viel zu unbedeutend, um eine dramatische Rolle in diesem Bürgerkrieg spielen zu müssen – hätte die Stadt nicht das Pech, nur sieben Kilometer von einem heftig umkämpften Hubschrauberflugplatz entfernt zu liegen. Die Menschen dort – Bauern, Handwerker, ehemalige Staatsangestellte. Heute sind fast alle arbeitslos. Und auch hier, obwohl klein und unauffällig, in Tel Rifa’at erleben wir das Gleiche wie in größeren Städten wie Azaz oder Aleppo: Assads Staatsterror gegen die eigene Bevölkerung. Regelmäßig wird das Städtchen bombardiert, obwohl es militärisch keine wichtige Rolle spielt. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres sollen 25 Raketen in Wohngebiete eingeschlagen sein. Elf Meter lange aus Nordkorea stammende Scud-Raketen, die große Sprengköpfe transportieren, sollen es gewesen sein, erzählten uns die Einwohner.
    »Die Rakete schlug ein, als die ganze Familie zusammensaß. Ganz plötzlich. Wir hatten nichts gehört. Keine Warnung. Nichts, plötzlich war sie da«, berichtet uns Khalid Nawaf, ein Mann mit fast weißem Haar, obwohl er erst Anfang vierzig ist.
    Er führt uns in die Trümmerlandschaft, die einmal sein Haus gewesen war. »Es war halb zehn abends. Es gab nur Verletzte. Alhamdullilah. Jetzt haben wir nichts mehr, außer dem, was wir auf dem Leib tragen.«
    Die Nächte in dem von den Rebellen kontrollierten Teil im Norden Syriens sind die gefährlichste Tageszeit für Zivilisten und Wohngebiete die bevorzugten Ziele von Assads Raketenoffizieren. Meistens abends oder mitten in der Nacht feuern sie ihre Geschosse ab, dann können Assads Strategen sicher sein, dass auf der feindlichen Seite der Front die Menschen beim Essen zusammensitzen oder nachts sich die Familien in ihren Häusern versammelt haben und schlafen. Raketenangriffe also immer zu Zeiten, zu denen möglichst viele Menschen getötet und unter den Trümmern verschüttet werden. Auch die Giftgasgranaten vom 21. August explodierten in den Vororten von Damaskus, zwei Stunden nach Mitternacht.
    Bei unserem Rundgang durch die Straßen von Tel Rifa’at spricht Anwar einen Mann an und stellt uns ihm vor. Es ist Ahmed Abu Saif, Sprecher des neu eingesetzten Stadtrats von Tel Rifa’at. Solche Stadträte – in einigen Orten gewählt, in anderen von Militärkommandanten ernannt – sind die ersten Versuche, so etwas wie Ordnung in das Kriegschaos zu bringen und Selbsthilfe zu organisieren. Denn von außen kommt so gut wie keine Hilfe in das von den Rebellen kontrollierte Gebiet. Sicherheit sei das größte Problem, sagt der Sprecher des Stadtrats, Abu Saif, noch vor Wassermangel und dem fehlenden Strom.
    »Wir sind dem Beschuss hilflos ausgeliefert«, klagt er, »wir können uns nicht
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