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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Autoren: Im Sommer der Mörder
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die ersten Zweifel, ob sie es schaffen würde. Ihre Rückkehr in den Alltag wurde von Premieren begleitet.
    Sie öffnete den Schraubverschluss und leerte die Flasche halb.
    Bald dreiundvierzig, und das Leben – dieses Leben – begann von vorn.
    Kein allzu angenehmer Gedanke.
    Sie sah zu Schneider hinüber, der seit Minuten reglos am Rand der Brandfläche stand, den Blick auf den Wald oder die Hügel dahinter gerichtet. Der schöne, langweilige Schneider, ohne Bermann verloren wie eh und je. Wie vor fünf Monaten im Schnee nahe Münzenried, an dem Tag, als Natchaya und Areewan gestorben waren.
    Alles, dachte sie, geschah nach ihrer Rückkehr zum ersten Mal und führte doch geradewegs in das Leben vor ihrer Zeit im Kanzan-an. Sie setzte die Flasche an die Lippen, trank sie aus, öffnete die zweite, trank sie halb. Sie konnte so viel Wasser trinken, wie sie wollte, der Durst blieb.
    Der Durst und die Schlaflosigkeit.
    Heute Nacht um drei hatte sie an der Kasse einer Freiburger Tankstelle gestanden und vier Flaschen mit hochprozentigem Alkohol in eine Tüte gepackt. Zu Hause hatte sie die Flaschen vor sich auf den Couchtisch gestellt. Also gut, hatte sie geschrien, wenn du unbedingt trinken willst, dann tu’s! Willst du Wodka? Bourbon? Nimm dir, was du willst! Wodka? Ja?

    Dann trink! Trink, was du willst!
    Ja, ja, ja, riefen die Dämonen in ihrem Kopf.
    Nein, schrie Louise. Heute nicht!
    Stattdessen hatte sie die Wohnung verlassen, war in die verwaiste Polizeidirektion gefahren. Sie hatte noch kein Büro, keinen Schreibtisch, kein Telefon. Also setzte sie sich in Almenbroichs Büro, weil er den bequemsten Schreibtischsessel hatte und der Leiter der Kripo war und seine Beamten im Kampf gegen ihre Dämonen unterstützte.
    Doch Almenbroich war an diesem Morgen nicht in seinem Büro erschienen. Das Führungs- und Lagezentrum hatte ihn zu Hause informiert. Er war direkt nach Kirchzarten gefahren.
    Ihr Blick glitt über die Brandfläche. Viel wusste sie noch nicht, Bermann hatte sie erst am späten Nachmittag kommen lassen. Waffen in einem Keller, von dessen Existenz niemand gewusst hatte, unter einem Holzschuppen, den niemand benutzt hatte, auf der Weide eines Bauern, den niemand mochte.
    Und ein toter Feuerwehrmann.
    Sie hatte noch keine Zeugenaussagen gelesen, an der ersten Besprechung der Ermittlungsgruppe »Waffen« am frühen Abend nicht teilgenommen. Der umsichtige Bermann. Er wollte sie langsam wieder an den Alltag heranführen. Wir dürfen sie nicht überfordern, hatte er vergangene Woche vor versammelter Mannschaft gesagt. Sie war lange weg. Sie war krank. Aber jetzt ist sie wieder gesund. Oder, Luis? Du bist doch wieder gesund?
    Anfangs hatte er darüber nachgedacht, sie in ein anderes Dezernat zu versetzen. Wie wäre das, hatte er an ihrem dritten Arbeitstag gefragt, wäre zum Beispiel die Sitte nicht das Richtige für dich, Luis? Wäre die Sitte nicht schön? Oder die Jugendkriminalität? Quatsch, hatte sie gesagt.
    Sie waren übereingekommen, dass sie in Bermanns D 11
    blieb, in der ersten Zeit jedoch nur »assistierte«, wie Bermann sich ausgedrückt hatte. Was »assistieren« bedeutete, hatte er nicht gesagt.

    Sie leerte die zweite Flasche Wasser, steckte sie ein. Sie wäre gern noch eine Weile fortgeblieben. Weit weg von Welt und Alltag, von Fremdbestimmung und Fremdsein. Andererseits fand sie es aufregend, verändert zurückgekehrt zu sein. In jedem Blick, in jeder Stimme Neugier, manchmal Überraschtheit wahrzunehmen. Und hin und wieder, bei Bermann und anderen Männern, sogar eine eigentümliche Intensität, wie sie sie seit Jahrhunderten nicht mehr ausgelöst hatte.
    Sechs Kilo weniger und vier Monate frische Luft waren eben nicht zu übersehen.
    In Schneider kam Bewegung. Er wandte sich ihr zu, hob eine Hand und wies Richtung Freiburg. Fahren wir endlich? Sein Gesicht wurde von den letzten Strahlen der Sonne beleuchtet.
    Ein freundliches, leeres Modekataloggesicht, von dem man den Blick erst wenden konnte, wenn man begriffen hatte, dass es sich womöglich nie mit Seele füllen würde.
    Sie schüttelte den Kopf. Wir bleiben noch. Warten auf den Geist, den es wieder hertreiben wird.

    Eine halbe Stunde verging. Die Sonne verschwand hinter den Hügeln. Schneider hatte sich in den Wagen gesetzt, sie hörte ihn telefonieren. Einer der Kirchzartener Dienstwagen fuhr langsam vorbei, auch Heinrich Täschle, der Leiter des Postens, machte Überstunden. Sie hatte ihn am Nachmittag gesehen, aber keine
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