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Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer

Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer

Titel: Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
Autoren: Luc Deflo
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ihm Blut aus dem rechten Mundwinkel. Das »Warum?« wurde von dem Schwall erstickt, der am Kinn hinunter in sein krauses Brusthaar floss.
    Nadia sprang auf und hatte nur noch Augen für Frank Tack. Er winkte ihr, wobei sich seine Finger bewegten wie die suchenden Fühler eines Insekts. Eines umherirrenden, sterbenden Insekts. Vorsichtig nahm sie seinen Kopf in ihre Hände und drückte ihn an ihre Brust. Dann kamen ihr die Tränen, unaufhaltsam. Ihr Geliebter öffnete die brechenden Augen, eine Mischung aus Unglaube, Glück und Angst im Blick. Eine Skala menschlicher Gefühle, die Nadia Mendonck das Herz brach, die Narben auf ihrer Seele hinterließ.
    »Nadia«, rief Dirk Deleu, »geh da weg!« Doch seine Worte verhallten ungehört und echoten hohl durch den Raum.
    Vanderkuylen stand noch immer reglos in der Tür und ließ nun die Hand mit dem Revolver zwischen die Beine sinken.
    Deleu zerrte Nadia am Arm. »Komm her. Dieser Mann ist ein Ungeheuer, Frank Tack ist …«
    Sie stieß ihn so grob von sich, dass er das Gleichgewicht verlor und mit rudernden Armen über den Wohnzimmertisch stolperte. Während er mit dem Hinterkopf gegen ein Tischbein knallte, kroch Pierre mit verbissen verzerrtem Gesicht und starrem Blick auf seine Waffe zu. Als Deleu in die Knie ging, fuhr Nadia ihn an: »Halt den Mund, du Idiot!«
    Als sie das Gesicht abwandte, griff Tack nach dem Revers ihrer offen stehenden Bluse und bewegte mühsam die Lippen. Er stieß unzusammenhängende Laute aus, unbegreiflich und wirr. Sie hielt ein Ohr dicht vor seinen Mund, und als ihre Tränen auf seine Brust tropften, stöhnte er.
    »Sylvain«, murmelte Nadia Mendonck, »vergib mir.«
    »Maroufs Junge … Jubellaan achtunddreißig«, das heisere Murmeln wurde zu einem leisen Röcheln, »im Keller … noch ein bisschen Geld unter dem Gemüse für Hueng, meinen Sohn …« Seine Lippen erstarrten, und seine zitternde Hand fand ihre weiche Brust.
    Nadia spürte, wie sein Zeigefinger über ihre Brustwarze fuhr, und als die Hand schließlich in ihrem Schoß ruhte, ging ein Zittern durch seinen ganzen Körper. Nadia Mendonck schluchzte und starrte die Wand an, die rasch näher kam. Sie machte die Augen zu, streichelte ihm über die Wange und schloss in einem Reflex seine weit aufgerissenen Lider. An das Büfett gestützt, stand sie auf und nickte Pierre, der mit entgeisterter Miene am Sofa lehnte, aufmunternd zu. Er reagierte nicht. Dann fiel ihr Blick auf Deleu, der nur noch ein Häuflein Elend war und sich offensichtlich die Schmerzen verbiss.
    »Sylvain war kein Ungeheuer«, sagte sie leise, fast ausdruckslos. »Aber Frank Tack war eines. Es tut mir so leid, Dirk.«
    Nadia Mendonck ging zur Tür und schob den telefonierenden Vanderkuylen beiseite. Sie ging die Treppe hinunter, hinaus ans Tageslicht, an die frische Luft. Auf der Suche nach Erlösung.

[home]
    64
    A ngespannt war nicht das richtige Wort. Die Atmosphäre auf dem Mechelner Grote Markt war vielmehr geladen. Ein monotones Summen, das hin und wieder anschwoll, dann wieder abebbte, ein saugender Mahlstrom, eine wogende, brodelnde Menge.
    Als der tiefgebräunte Mann die Rednertribüne erklomm, ertönten hier und da aufmunternde Rufe. Mit einer weitläufigen Geste gebot Murat Marouf, der einen dreiteiligen schwarzen Anzug und eine dunkle Brille trug, der Menge zu schweigen. Es war ein beeindruckender Anblick. Die Menschenmasse blieb reglos stehen und wurde mucksmäuschenstill, als hätte eine urplötzlich einfallende Dunkelheit das Tageslicht verschluckt. Es war so still, dass man die zahlreichen Kameras summen hörte. Dutzende hochgehaltene Richtmikrophone verliehen der Szenerie eine mittelalterliche Atmosphäre. Es war, als stünde Murat Marouf auf dem Scheiterhaufen, bewacht von Soldaten mit Hellebarden.
    Als sein Sohn in einem Rollstuhl auf das Podium getragen wurde, ging ein Raunen durch die murmelnde Menge.
    Murat Marouf wandte den Blick nicht ab, und sein Gesicht verriet keinerlei Gefühl, bis auf die geschwollenen Augen, die jedoch hinter der dunklen Sonnenbrille verborgen blieben. Seine Lippen zitterten, und als er sich zum Mikrophon beugte, brach spontaner Applaus los.
    »Murat!«, ertönte es aus Hunderten Kehlen. Das Flüstern schwoll an wie das Hufgetrappel einer herbeirasenden Bisonherde.
    »Brüder und Schwestern, meine Damen und Herren, es ist der Wille Allahs, dass diese sinnlose Gewalt ein Ende hat.« Murat Marouf breitete in einer einladenden Gebärde die Arme aus. »Mein Sohn Ali
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