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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
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Reverend Feltless kennenlernte. Ein hagerer, älterer Mann in Schwarz. Schwarzes Hemd unter einem schwarzen Jackett, schwarze Hose, Socken und Schuhe. Das einzige Kleidungsstück, das nicht schwarz war, war seine Baseballkappe. Offenbar war er ein Fan der Toronto Blue Jays. Und er liebte seine Kopfbedeckung abgöttisch. Man sah ihn praktisch nie ohne die Kappe, nicht einmal in der Kirche. Es ist schon ein wenig eigenartig, der Predigt eines baseballkappentragenden Geistlichen zu lauschen.
    Vor allem, wenn dieser ein ausgemachter Schwulenhasser ist. Die Predigt drehte sich ausschließlich darum, wie böse und gefährlich die schwule Lebenskultur sei und dass der homosexuelle Plan mit allen Mitteln bekämpft werden müsse. Ich hatte bis dahin gar nicht gewusst, dass ich einen Plan verfolgte: Offenbar war es mein erklärtes Ziel, so viele wie möglich zum Schwulentum zu bekehren, um sie anschließend mit Aids anzustecken. Was, wenn man es sich recht überlegt, ein ziemlich widersinniges Vorhaben wäre. Ich schätze, Reverend Feltless hatte die Sache nicht ganz gründlich durchdacht.
    Natürlich hielt ich schön brav meinen Mund. So wie Chester. Der sprach weder nach der Kirche mit mir noch während der Veranstaltung im Anschluss an den Gottesdienst. Ich konnte sein Verhalten zwar verstehen, aber das hieß noch lange nicht, dass es mir auch gefiel.
    Dann, einige Monate später, zogen Chester und seine Familie nach Ice Lake. Und immer, wenn ich ihn sah, wurde ich an diesen entsetzlichen Tag erinnert.
    Trotzdem wurmte es mich, dass ich meine Chance mit ihm nicht richtig genutzt hatte, Chester konnte nämlich verdammt gut küssen. Als ich ihn jedoch näher kennenlernte, stellte sich heraus, dass er … leider auch ein Trottel war. Noch dazu ein egozentrischer Trottel. Es hätte nicht funktioniert.
    Nachdem Chester endlich das Gebet zu Ende gebracht hatte, sagten wir amen. Vom Flur drangen Schritte und gedämpfte Stimmen zu uns herein. Die Sonntagsschule war vorbei. Ich war als Erster bei der Tür. Als ich sie öffnete, erblickte ich direkt vor mir meinen kleinen Bruder Josh, der mich mit weit aufgerissenen, funkelnden Augen anstarrte.
    »Du bist ein Sünder«, sagte er.
    Oje, dachte ich. Und ahnte Schlimmes.

 
     
     
     
     
     

     
     
    »Sünder!«, sagte Josh laut und zeigte anklagend mit dem Finger auf mich. Wodurch sich meine Absicht, mich unbemerkt davonzuschleichen, erledigt hatte.
    »Halt die Klappe, Josh«, zischte ich und drückte seine kleine Hand unsanft nach unten. Da stand ich also im Untergeschoss der Kirche, umringt von Sonntagsschulkindern und den dazugehörigen Lehrern, darunter auch meine Schwester Tiffany. Keine sehr günstige Ausgangssituation, selbst nicht in guten Zeiten. Und von denen war ich Lichtjahre entfernt.
    »Du hast gesündigt!«, fuhr er fort.
    Mir war klar, was als Nächstes kam. Ich versuchte noch, Josh den Mund zuzuhalten, doch er wich zurück und plärrte: »Du bist wie Onan!«
    Mit einem Schlag war es mucksmäuschenstill. Wie dünne Nadeln durchbohrten mich die Blicke der anderen – kein besonders angenehmes Gefühl.
    »Josh, du sollst nicht lügen«, wies ich ihn zurecht, obwohl ich wusste, dass es keinen Zweck hatte.
    »Stuart, sag, dass das nicht wahr ist«, schaltete sich Tiffany ein, die klang, als hätte ich sie persönlich verraten.
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Mrs. Farmson in ebenso verletztem Tonfall.
    »Ich mir schon«, fiel Chester mir mit einem dümmlichen Grinsen in den Rücken.
    Irgendwo weiter hinten fing eine Handvoll Kinder an zu kichern.
    »Du bist widerlich«, meinte Jane.
    »Mach, dass du Land gewinnst!«, fauchte Lucie.
    Jacob, der für gewöhnlich als Erster seinen Senf dazugab, durchlöcherte mich mit feindseligen Blicken.
    »Wird Gott ihn auch totmachen?«, fragte eines der jüngeren Kinder.
    »Okay, das reicht«, sagte ich. »Ihr macht aus einer Mücke einen Elefanten.«
    »Also gibst du es zu?«, wollte Jacob wissen, als er seine Stimme wiedergefunden hatte.
    »Ach, Stuart«, seufzte seine Mutter. »Wie konntest du nur?«
    »Ich gebe gar nichts zu, damit das klar ist«, verteidigte ich mich. »Ich finde nur, dass ihr den ganzen Kram einfach viel zu ernst nehmt. So schlimm ist es doch gar nicht. Ich habe niemanden umgebracht, nichts gestohlen, nicht die Frau eines anderen begehrt oder einen falschen Gott angebetet.«
    »Trotzdem ist und bleibt es ein sündiger Akt«, warf Tiffany ein.
    »Genau!«, schob Jacob nach.
    »Das haben wir
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