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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
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die Bibel zu, »hat jemand noch Fragen?«
    Zwölf Teenager, mich eingeschlossen, starrten sie mit großen Augen an. Das taten wir eigentlich immer, wenn sie etwas aus der Bibel vorgelesen hatte. Aber dieses Mal schwang noch etwas anderes in unseren Blicken mit. Uns war natürlich allen klar, worum es hier ging, aber keiner von uns verspürte nur im Geringsten den Wunsch, es in Worte zu fassen.
    Wir saßen auf Plastikstühlen in einem kleinen Raum im Keller der Kirche, der kaum genug Platz für alle bot. Die Stühle standen entlang der Wände aufgereiht, während Mrs. Farmson direkt vor der Tür saß. Von dort aus konnte sie uns alle im Auge behalten und blockierte zugleich den einzigen Ausgang.
    Eigentlich sind mir die Treffen des kirchlichen Jugendklubs ein Greuel, aber heute war ich sogar in gewisser Weise dankbar. Josh hatte mir während des ersten Teils des Gottesdienstes ständig eigenartige Blicke zugeworfen, so dass ich erleichtert war, als wir uns endlich in die jeweiligen Sonntagsschulgruppen aufteilten.
    Da sich keiner von uns auf die Frage meldete, ging Mrs. Farmson dazu über, Augenkontakt aufzunehmen. Paul, ein Sportass aus der Footballmannschaft der Schule (und außerdem der Freund meiner Schwester), hatte nicht schnell genug weggeguckt.
    »Was meinst du, Paul?«, fragte Mrs. Farmson ihn.
    »Bedeutet es das, was ich denke, das es bedeutet?«, antwortete Paul ausweichend.
    »Was glaubst du denn, was es bedeutet?«, hakte Mrs. Farmson nach.
    »Nun … der Teil darüber, wie Onan … seinen Samen vergießt«, sagte Paul und lief rot an. »Es klingt, als ob …«
    Mrs. Farmson hüllte sich in Schweigen, wie sie es immer tat, wenn unsere Antworten ihren Ansprüchen nicht genügten. Paul warf erst ihr und dann uns einen hilflosen und flehenden Blick zu, aber niemand kam ihm zu Hilfe.
    »… er mit sich selbst spielt«, fuhr Paul eilig fort.
    Chester, der schwabbelige Junge, der mir gegenübersaß, stieß ein Kichern aus. Als Mrs. Farmson ihn scharf ansah, verstummte er augenblicklich.
    »Wärst du so freundlich, Chester, Pauls Antwort noch etwas näher auszuführen?«, bat sie ihn mit zuckersüßer Stimme.
    Am liebsten hätte ich laut losgelacht, konnte mich aber gerade noch am Riemen reißen. Das hast du jetzt davon, du kleiner Idiot, dachte ich. Ich hatte im Laufe der Zeit gelernt, in solchen Situationen lieber die Klappe zu halten.
    »Er meint damit …«, setzte Chester an, »wenn man sich selbst berührt. Da unten«, fügte er hinzu und deutete auf seinen Schritt.
    »Igitt«, sagte Jane, eine dünne Möchtegernblondine mit weißer Bluse und knielangem Rock.
    »Das ist ja widerlich!«, meinte Lucie, eine Brünette mit riesiger Brille und einem Secondhand-Kleid.
    »Voll krass daneben«, warf Ryan ein, ein weißer Junge in Baggy Jeans und Kapuzenshirt. »Packste dich selbst an, Mann, biste dran.« Ryan hielt sich für einen Rapper, war aber leider vollkommen talentfrei.
    »Es ist eine Sünde«, verkündete Jacob Farmson mit lauter Stimme und richtete sich pflichtbewusst auf. In seinen Augen war fast alles eine Sünde.
    »Wirklich?«, fragte Chester eine Spur zu hastig.
    Sehr gut, dachte ich, bin ich also nicht der Einzige.
    »Selbstverständlich ist es eine Sünde«, bestätigte Mrs. Farmson und beäugte Chester kritisch. »Ich hoffe, dass euer gesunder Menschenverstand euch davon abgehalten hat, dieser Gefahr zu erliegen.«
    »Was mich betrifft, ja, Mutter«, sagte Jacob.
    »Ich weiß, mein Sonnenschein«, antwortete Mrs. Farmson. »Wie sieht es mit den anderen aus? Könnt ihr mir in die Augen sehen und schwören, dass ihr reinen Gewissens seid?«
    Oje, dachte ich. Dem Ausdruck in Chesters Gesicht nach zu urteilen, dachte er dasselbe wie ich. Wenn er klug war, hielt er den Mund. Bedauerlicherweise war er es nicht.
    »Ist es denn echt so schlimm?«, fragte er. »Nicht, dass ich so etwas tun würde«, schob er rasch nach, wobei er Mrs. Farmsons Blick auswich, »aber ist es tatsächlich genauso schlimm wie Mord? Oder Diebstahl? Oder Homosexualität?«
    »Hey!«, rief ich.
    »Nichts für ungut, Stu. Das geht nicht gegen dich«, sagte Chester, ohne mich dabei anzusehen. Den Blicken anderer auszuweichen, war heute Chesters große Stärke. Und das aus gutem Grund, was mich betraf.
    »Wir wissen alle, dass du dich für diese Lebensweise entschieden hast«, sagte Mrs. Farmson verständnisvoll. »Ich glaube jedoch fest daran, dass du deinen Fehler schon bald einsehen wirst.«
    »Vielen Dank auch«, murmelte
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