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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
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hätten wir einen Altkleidercontainer geplündert.
    »Hallo«, begrüßte uns Mrs. Farmson und winkte wie Königin Elizabeth. Sie war mittleren Alters, gab sich aber wesentlich betagter und gebrechlicher. Und das, obwohl sie meines Wissens kerngesund war. Irgendwann hatte sie wohl einfach beschlossen, sich wie ein Porzellanpüppchen zu bewegen.
    »Scheint, als hätte der Herrgott schützend seine Hand über euch gehalten«, fügte Mr. Farmson hinzu. Er war groß und kräftig, wie ein Holzfäller. Was an und für sich gut passte, da er den Holzhandel am Rande der Stadt leitete.
    »Uns geht es gut, danke der Nachfrage«, antwortete Mom und schob ein »Gelobt sei der Herr« hinterher.
    Ich stöhnte innerlich auf. Das Gottesgelaber hatte wieder begonnen.
    Ich ließ die anderen stehen und schlenderte auf die Kirche zu. Schließlich hatte ich noch etwas zu erledigen, ehe der Gottesdienst begann.
    Das Kirchengebäude erinnerte an einen großen roten Schuhkarton und war alles andere als eine Augenweide. Keine Bleiglasfenster, kein Glockenturm, geschweige denn eine Kirchturmspitze. Lediglich ein überdimensionales Metallkreuz an der Längsseite wies den Bau als Gotteshaus aus.
    Direkt hinter dem Hauptportal verlief ein Gang, der zu Father Reedys Büro und einer Pantry-Küche führte. Ich öffnete die Tür zur Küche, in der ein großes Becken mit Wasser stand.
    Weihwasser.
    Ich legte meinen Rucksack ab, öffnete ihn und holte drei leere Fläschchen hervor. Für mein »Hobby« benötige ich Weihwasser, und mein Vorrat war zu Ende gegangen. Nachdem ich die erste Flasche geöffnet hatte, tauchte ich sie vorsichtig unter Wasser.
    »Hallo, Stuart.«
    Um ein Haar wäre mir die Flasche aus den Händen geglitten. Ich fuhr herum und sah Father Reedy, der mit betont ausdrucksloser Miene im Türrahmen stand.
    Ich mochte Father Reedy. Er war um die vierzig, konnte sich nicht über Haarausfall beklagen und war so cool, wie ein Geistlicher es eben sein konnte. Er war der Meinung, dass das Christentum die Macht des Guten sein sollte, ohne dabei über andere zu richten. Außerdem vertrat er die Meinung, die spirituelle Reise eines jeden Menschen sei absolute Privatangelegenheit. Ich empfand tiefen Respekt für ihn. Er war der Erste, mit dem ich darüber gesprochen habe, dass ich schwul bin. Es hat ihn nicht einmal ansatzweise aus der Fassung gebracht. Überhaupt war er nur schwer zu beeindrucken. Nicht einmal mein »Hobby« konnte ihn aus dem Konzept bringen.
    »Hast du genug Wasser?«, fragte er.
    »Eigentlich wollte ich drei Flaschen mitnehmen«, antwortete ich. »Lieber zu viel als zu wenig.«
    »Da hast du recht«, stimmte er mir zu. »Aber du weißt, was ich davon halte, Stuart. Ich mache mir große Sorgen um deine Sicherheit.«
    »Ich passe auf«, versprach ich.
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, meinte Father Reedy und überließ mich wieder mir selbst.
    Eine Minute später war ich zurück im Kirchenvorraum. Meine Mom und Mr. Farmson waren gerade dabei, die Mäntel auszuziehen, während Josh und Tiffany sich angeregt mit Mrs. Farmson unterhielten.
    »Da bist du ja, Stuart«, sagte die Porzellanpuppe. »Tiffany und ich sprechen gerade über den heutigen Unterricht. Wie es aussieht, wollte der Herr, dass wir beide das Thema in letzter Minute ändern.«
    Das war also der Grund für ihre Verspätung, dachte ich.
    »Was steht denn Schönes auf dem Stundenplan?«, erkundigte ich mich.
    »Die Sünde des Onan«, antwortete Mrs. Farmson.
    Etwas in meinem Inneren machte klick.
    »Was ist das?«, wollte Josh wissen.
    »Das wirst du gleich erfahren«, sagte Tiffany und lief rot an.
    »Die Sünde, mit den eigenen Geschlechtsteilen zu spielen«, erklärte Mr. Farmson und machte dabei eine unmissverständliche Geste.
    »Stephen, bitte!«, rief Mrs. Farmson, doch ihr Mann lachte nur.
    Mir dagegen war nicht nach Lachen zumute. Ich hatte einen Kloß im Hals und sah zu Josh herab, der mich voller Entsetzen anstarrte.
    »Ich gehe schon mal und halte uns eine Reihe frei«, sagte ich schnell und hastete in das Innere der Kirche.

 
     
     
     
     
     
     

     
     
    Da sprach Juda zu Onan: »Geh zu deines Bruders Frau und nimm sie zur Schwagerehe, auf dass du deinem Bruder Nachkommen schaffest.« Aber da Onan wusste, dass die Kinder nicht sein Eigen sein sollten, ließ er’s auf die Erde fallen und verderben, wenn er einging zu seines Bruders Frau, auf dass er seinem Bruder nicht Nachkommen schaffe. Genesis 38, 8-9
     
    »Also«, sagte Mrs. Farmson und schlug
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