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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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Possen
    spielte. Nämlich sie stellte sich, als wäre sie geneigt, die
    Wünsche des Dichters zu erfüllen, und benutzte als-
    dann die erste Gelegenheit, ihm eine Nase zu drehen
    und ihn unter dem Hohngelächter all ihrer Bekannten
    und Freunde kläglich heimzuschicken. Das war Boc-
    caccios letzte Liebe.
    Im übrigen, da der Vater ihm eine kleine Erbscha
    hinterlassen hatte, lebte er als ein stillgewordener
    Mann und widmete sich allerlei gelehrten Studien. Den
    Griechen Leontius Pilatus hatte er, um seine Sprache zu
    lernen, über zwei Jahre lang bei sich im Hause. Öers
    übernahm er im Dienste der Stadt politische Auräge
    und Ambassaden, unter anderem besuchte er dreimal
    als Gesandter den Papsthof zu Avignon. Mit großem
    Eifer forschte er dem Leben und den Schrien des
    

    Boccaccio im Gespräch mit Petrarca
    Dante nach, den er ungemein verehrte. Mit dem etwas
    älteren Petrarca, welcher damals von sich selber und
    von jedermann für den größten lebenden Dichter ge-
    halten wurde, pflegte er eine edle und herzliche Freund-
    scha und war untröstlich, als dieser im Jahre 
    starb.
    Aber das Leben dieses merkwürdigen Mannes, des-
    sen Anfang ein Abenteuer und dessen erste Häle ein
    Hymnus der Liebe zu sein scheinen, verwandelte sich
    zum Schlusse noch in eine fromme Posse. Noch als ein
    

    Die Kirche San Stefano
    
    rüstiger Mann hatte er das Dekameron geschrieben, wel-
    ches bald auf schalkhae, bald auf leidenschaliche Art
    dem Dienste schöner Frauen huldigt und über Mönche
    und Priester unerschöpflichen Hohn ergießt. Nicht gar
    viel später aber gelang es einem schwindelhaen Mön-
    che, namens Ciani, ihn zu bekehren, und zwar vermit-
    telst einer nicht einmal sehr durchtriebenen Bauernfän-
    gerei, und von da an hörte man ihn seine schönsten
    Werke nie anders denn als verwerfliche Jugendsünden
    und Verirrungen bezeichnen. Noch viel schlimmer
    aber und lächerlicher ist es, daß der vormalige Schalk
    und Weiberfreund in seinen älteren Tagen zu einem ar-
    gen Frauenverächter ward und ein Buch mit dem Titel
    Corbaccio geschrieben hat, in welchem man, wenn man
    Lust hat, Hunderte von schimpflichen, grausamen,
    haßerfüllten und anklagenden Reden über die Weiber
    finden kann – dazu in einer Redeweise, welche an Un-
    flätigkeit auch die kühnsten Stellen seiner früheren
    Werke zehnmal übertri. Das sollte seine Rache an je-
    ner grausamen Witwe sein; allein der Dichter tat damit,
    wie wir es o sich ereignen sehen, nur einen Schnitt ins
    eigene Fleisch.
    Eine späte Ehre ward ihm zuteil, indem er nach man-
    nigfachen Studien und Reisen im Jahre  zum öf-
    fentlichen Ausleger der göttlichen Komödie des Dante
    zu Florenz ernannt wurde, wofür er jährlich hundert
    Goldgulden bezog. Diese Vorlesungen hielt er unter
    großem Zulaufe in der Kirche Santo Stefano bis kurz
    vor seinem Tode. Er starb am . Dezember ,
    
    zweiundsechzig Jahre alt, und wurde ehrenvoll bestat-
    tet. Die Liebe zu der großen Dichtung des Dante ver-
    lieh seinen späteren Tagen, trotz des bösen Corbaccio ,
    noch eine gewisse ehrwürdige Glorie. Für die nachfol-
    genden Jahrhunderte aber ist er wieder der Geschich-
    tenerzähler mit der Schelmenmiene geworden, und
    dem heutigen Geschlecht ist an einem einzigen Witz aus
    einer seiner Novellen mehr gelegen als an der ganzen
    Gelehrsamkeit und Ehrbarkeit seines ehrenvollen Al-
    ters.
    
    Über die Dichtergröße des Boccaccio, welchen
    man gerne den dritten unter den großen italieni-
    schen Poeten nennt, steht in vielen Büchern viel ge-
    schrieben, was alles zu wiederholen nicht vonnöten
    ist. Er war unter denen, welche jemals kunstgerechte
    Novellen verfaßt haben, nicht nur der Erste, sondern
    indem er diese scheinbar geringe Kunst früher als
    irgendein anderer betrieben, ja eigentlich erfunden
    hat, übte er sie sogleich mit einer solchen Vollendung
    aus, daß er von keinem seiner unzähligen Nachfol-
    ger übertreffen oder auch nur erreicht werden konn-
    te. Nicht weniger groß ist aber sein Verdienst um die
    italienische Sprache, welche er nicht etwa nur ver-
    schönert und ausgeschmückt, sondern in gewissem
    Sinne eigentlich neu geschaffen hat. Denn obwohl
    schon lange vor ihm der Florentiner Dante das größ-
    te und schönste italienische Gedicht verfaßt hat, war
    doch das Gebiet der Erzählung und die Prosasprache
    überhaupt noch von keinem mit einiger Kunst
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