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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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vielen Schwüren die Ehe versprach, sah er
    sich in kurzem am äußersten Ziel seiner Wünsche ange-
    langt. Zu beiderseitigem Vergnügen erfreuten sie sich
    längere Zeit ihrer Liebe ohne Hindernisse, und gewiß
    hätte der Florentiner noch lange nicht an die Rückkehr
    nach seiner Heimat gedacht, wäre nicht infolge dieser
    Liebscha jene Witwe nach Jahresfrist mit einem hüb-
    schen Knäblein niedergekommen. Dieses paßte kei-
    neswegs in die Pläne des leichtsinnigen Italieners, und
    da die Dame außer ihrer Schönheit keine Reichtümer
    besaß, verließ er, ohne sich seiner Schwüre mehr zu
    erinnern, sie und die Stadt Paris in aller Stille und begab
    sich als ein lediger Mann nach Florenz zurück, wie es
    stets die Art solcher Leute war, sich um eine leere Fla-
    sche und um eine schwanger gewordene Geliebte mit
    keinem Blicke mehr zu bekümmern.
    Das Knäblein aber, das die arme Frau im Jahre 
    gebar, war Giovanni Boccaccio.
    Von Schmerz und Sorge entkräet, lebte die un-
    glückliche Dame nur noch wenige Jahre, und nach
    ihrem Tode ward Giovanni in zartem Knabenalter nach
    Florenz zu seinem Vater gebracht. Dort besuchte er
    eine gute Schule, erwarb sich einige Kenntnis der latei-
    nischen Sprache und wäre am liebsten bei den Büchern
    sitzen geblieben, um sich ganz den Studien hinzuge-
    ben. Aber kaum war er etwa dreizehn Jahr alt, so nahm
    

    Neapel zur Zeit Boccaccios
    
    ihn der Vater zu sich, lehrte ihn die notwendigsten
    Handgriffe und Rechenkünste der Handelsleute und
    übergab ihn sodann einem Geldwechsler, damit er bei
    diesem die Kaufmannscha erlernen sollte. Sechs Jahre
    blieb er denn bei diesem Gewerbe, ohne jedoch etwas
    Erkleckliches zu lernen oder gar den Handel lieb zu
    gewinnen. Vielmehr lief er überall hin, wo er Verse
    singen oder vortragen hören konnte, und lernte viele
    Stücke aus den großen Gedichten des Dante und des
    Vergil auswendig, welche ihn höchlich begeisterten
    und mit einer unauslöschlichen Liebe zur Poesie erfüll-
    ten.
    Am Ende dieser sechs Jahre sah jedermann deutlich,
    daß Giovanni in die Handelscha paßte wie der Fisch
    aufs Trockene. Dies sah auch der Vater wohl ein und
    beschloß daher, seinen Sohn den Studien an Universi-
    täten zu widmen, und zwar wählte er für ihn das
    Studium des kanonischen Rechts, indem es ihm als ei-
    nem klugen Manne schien, es sei mit diesem Hand-
    werk nicht wenig Geld zu verdienen, wenn einer es
    ordentlich verstehe. Weil aber Giovanni um diese Zeit
    sich eben in Neapel befand, schien es dem Vater am
    wohlfeilsten, daß er dort seine Studien abmache, ohne
    daß er geahnt hätte, welcherlei Kenntnisse derselbe sich
    dort erwerben würde.
    Es war nämlich Neapel zu jener Zeit gewiß die aller-
    üppigste Stadt in ganz Italien, zumal da gerade unter
    dem Könige Robert die Einwohner eines längeren Frie-
    dens genossen, woran sie nur schlecht gewöhnt waren.
    

    Jugendbildnis Boccaccios
    Von dem Leben bei Hofe brauche ich wenig zu sagen,
    indem jedermann die Namen der sechs Neffen des Kö-
    nigs, sowie seiner Schwägerin, der sogenannten Kaise-
    rin von Konstantinopel, und seiner Enkeltochter Jo-
    hanna kennt, welche sämtlich durch alle Welt einen
    bösen Leumund hatten. Vorab jene Johanna führte ein
    überaus freches und tadelnswertes Leben, hatte ihres
    Gatten Bruder zum Buhlen und nahm ihn später, nach-
    dem sie sich des andern durch Mord entledigt hatte,
    ohne päpstlichen Dispens zum Gemahl. Auch sonst
    war in der Stadt, zumal unter den Edelleuten, ein ver-
    
    gnügliches Schlemmen, auch Hader und kleinere
    Mordtaten im Schwang, und bei Hofe war längst zwi-
    schen echten Kindern und Bastarden weder von den
    Vätern, noch von anderen mehr zu unterscheiden. An
    diesem Hofe, wo er noch zu Lebzeiten des Königs von
    seinem jungen Landsmanne Niccolo Acciaiuoli einge-
    führt wurde, ging nun das Studentlein ab und zu.
    Daselbst war mit Festen, Mahlzeiten, Ball, Tanz und
    Maskenscherzen ein verschwenderisches Leben, und
    gewiß hat Boccaccio niemals irgendeine üppige oder
    lüsterne Geschichte erzählt, welche er nicht in Neapel
    viel toller und gründlicher selbst mitangesehen hatte.
    Daß er auf dem Gebiete der gelehrten Studien (das La-
    tein ausgenommen) etwas Erhebliches geleistet oder
    den Grad eines Doctoris iuris canonici erlangt hätte,
    wird nirgends berichtet. Statt dessen legte er damals
    den Grund zu seiner tiefen Kenntnis der menschlichen
    Leidenschaen, da er von
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