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Boardwalk Empire

Boardwalk Empire

Titel: Boardwalk Empire
Autoren: Nelson Johnson
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würde Mr. Johnson verärgern. Wären da nicht der Winter und die ganzen unbezahlten Rechnungen gewesen, sie hätte sich nie hierhergetraut. Aber sie hatte keine Wahl. Ihr Mann war ein Idiot, und sie hatte Angst um ihre Kinder. Schließlich erschien Louis Kessel und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie erwartete.
    Als sie das Wohnzimmer betrat, kam Mr. Johnson ihr entgegen, gab ihr die Hand und begrüßte sie herzlich. Sie hatte ihn zuletzt vor Jahren bei der Beerdigung ihres Vaters gesehen, aber er erinnerte sich an sie und nannte sie beim Vornamen. Er trug einen extravaganten Hausmantel und Pantoffeln, und wollte wissen, was sie bedrückte. In diesem Moment verschwand ihre Angst. In einer rasanten Abfolge von Sätzen berichtete sie, wie ihr Ehemann letzte Nacht sein gesamtes Gehalt beim Glücksspiel verloren hatte. Er war ja nur ein Bäckergehilfe, in den Wintermonaten war sein wöchentliches Gehalt von 37 Dollar alles, was die Familie zum Leben hatte. Sie redete immer weiter, über die vielen unbezahlten Rechnungen, und dass sie nicht einmal mehr beim Lebensmittelladen um die Ecke anschreiben konnte. Johnson hörte genau zu, griff dann in seine Hosentasche und reichte ihr einen Hundert-Dollar-Schein. Sie war jetzt völlig verdattert und konnte so lange nicht mehr aufhören, sich bei ihm zu bedanken, bis er sie bat zu schweigen. Louis Kessel bat sie höflich hinaus und teilte ihr mit, es warte bereits ein Wagen auf sie. Bevor sie ging, versprach Johnson noch, ihrem Ehemann ein Verbot für jedes Karten- und Würfelspiel in der Stadt zu erteilen. Und sie möge sich melden, wenn sie wieder ein Problem hätte.
    Niemand verkörperte Atlantic City vor der Zeit der großen Kasinos so wie Enoch »Nucky« Johnson. Wer seine Regentschaft versteht, begreift, wie die Stadt zu dem wurde, was sie heute ist. Johnsons Macht erreichte zur Zeit der Prohibition von 1920 bis 1933 ihren Höhepunkt, zeitgleich mit der großen Popularität der Stadt: Atlantic City war die Hauptstadt des illegalen Ausschanks von Alkohol in den USA. Vom sogenannten Volstead Act , dem gesetzlichen Verbot von Alkohol, hatte man dort offenbar nie gehört. Während der Prohibition war Nucky gleichzeitig ein hohes Tier in der republikanischen Partei und im organisierten Verbrechen, Mafiosi und Politiker gaben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Die meisten Bürger hielten Johnson allerdings keineswegs für kriminell. Er war vielmehr ihr Held, ein Sinnbild für die Tugenden, die Atlantic City so erfolgreich gemacht hatten.
    Ursprünglich wollte ein Arzt den kleinen Ort am Meer in einen Kurort für Superreiche verwandeln, aber Atlantic City wurde stattdessen zum grellen und lärmigen Urlaubsort der Unterschicht. Die Menschen kamen in der Gewissheit, dass die bürgerlichen Regeln hier nichts galten. Atlantic City florierte, weil es den Leute genau das gab, was sie wollten: eine frivole Zeit zu einem erschwinglichen Preis.
    In manchen Erzählungen von früher wird die Stadt als eine Art eleganter Badeort für wohlhabende Leute beschrieben, vergleichbar mit Newport, aber das kann man getrost ins Reich der Fantasie verweisen, denn in seiner Blütezeit war Atlantic City das genaue Gegenteil. Es war ein Vergnügungspark für die Industriearbeiter aus Philadelphia. Wer sich nicht mehr als zwei oder drei Tage Urlaub leisten konnte, kam nach Atlantic City. Im Sommer flüchteten die Arbeiter hierher vor der Hitze in den Städten und der tödlichen Langeweile ihrer Fließband-Jobs, denn hier konnten sie sich ausleben.
    Es gab vier essenzielle Eckpfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs der Stadt. Der erste war der Zugang zum Schienennetz. Ohne die Eisenbahn wäre die urbane Entwicklung von Absecon Island fünfzig Jahre hinterhergehinkt. Der zweite waren die Investoren aus New York und Philadelphia. Sie brachten das Geld und das Know-how, das man benötigte, um Hunderte von Hotels und Pensionen auf eine Insel aus Sand zu bauen. Der dritte waren Unmengen von billigen Arbeitskräften. Für die gab es nur eine Quelle: die Masse der befreiten Sklaven und deren Kinder. Der vierte Pfeiler war die Bereitschaft der Anwohner, den Gesetzestext zu ignorieren, wenn es um das Amüsement der Besucher ging. Von der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert bis in die 70er-Jahre wurde die Stadt von einer Allianz aus Politikern und Kriminellen regiert, ein Resultat der engen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Verwaltung.
    Alles hier wurde einem einzigen Zweck
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