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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
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diesen vergangenen, brutalen Jahren in ihr Gesicht gegraben hatten.
    Beth wusste, dass sie unscheinbar war. Das war in Ordnung. Sie war ihr ganzes Leben lang unscheinbar gewesen.
    Nicht in Ordnung hingegen war, dass sie die harten Gesichtszüge einer Fünfzigjährigen hatte, obwohl sie gerade achtunddreißig geworden war. In letzter Zeit war ihr aufgefallen, wie verhärmt sie aussah. Wäre Walter noch hier, würde ihr letztes bisschen Attraktivität vielleicht noch nicht schwinden.
    Sie krempelte ihre Jeans bis zu den Knien hoch.
    Ein Jetski sauste in der Mitte des Sees übers Wasser, nur dort kurz sichtbar, wo das Mondlicht darauf fiel.
    Beths Füße glitten in den flüssigen Stahl und berührten das von Algen glitschige Holz der ersten Stufe unter Wasser.
    Es war ein kühler Abend. Sie rieb sich die bloßen Arme und dachte: Oktober ist der schrecklichste Monat. Liebling, sind es schon sieben Jahre?
    In einer Woche würde Beth einem weiteren Jahrestag ins Auge sehen müssen – an Halloween vor genau sieben Jahren war Walter verschwunden.
    Der Schriftsteller und Mörder Andrew Thomas war ein enger Freund ihres Mannes gewesen. Andrews altes Haus stand noch zwischen den Bäumen auf der anderen Seite der Bucht. Letztes Jahr war dort wieder jemand eingezogen, doch noch immer kam es ihr seltsam vor, dass von dort Lichter über den See schienen.
    Die Umstände von Walters Verschwinden waren auch nach sieben Jahren noch genauso geheimnisvoll und unheimlich.
    1996 hatte er an einem kalten und nassen Halloween-Abend mit Beth am Küchentisch gesessen und ihr erklärt, dass ihre Familie in fürchterlicher Gefahr schwebe.
    Er hatte sie angewiesen, die Kinder fortzubringen.
    Sich geweigert, irgendetwas zu erklären.
    Gesagt, das einzig Entscheidende sei, Jenna und David sofort von hier wegzubringen.
    Sie erinnerte sich immer noch an Walters Blick an jenem Abend, nie zuvor hatte sie diesen Ausdruck in seinen Augen gesehen – unglaubliche Angst.
    Kurz hinter den Stufen stiegen Luftblasen zur Wasseroberfläche, kurz darauf erschien Jennas tropfnasser Kopf.
    Das letzte Bild meines Geliebten – ich sehe Walter im Rückspiegel, als ich mit unseren Kindern in der regnerischen Halloween-Dunkelheit davonfahre. Er steht auf der Veranda, und seine Geste – hochgehaltene Hände im orangegelben Licht – bedeutet: »Ich liebe dich.«
    Sie hatte Walter nie wiedergesehen.
    Sein weißer Cadillac war zwei Wochen später in Woodside, Vermont, neben einem Müllcontainer gefunden worden, der Fahrersitz bespritzt mit Walters Blut.
    In ihrem Herzen wusste Beth, dass Andrew Thomas ihren Mann getötet hatte.
    Sie konnte sich nur nicht vorstellen, warum.
    »Komm rein, Mami!«
    Beth stieg zwei weitere Stufen hinab, das Wasser umspülte jetzt ihre Knie.
    »Es ist zu kalt, Liebling.«
    »Du bist so ein Weichei«, spottete Jenna und schwamm auf die Stufen zu. »Ich sollte dich eigentlich ins Wasser ziehen.«
    »Nein, das solltest du nicht tun.«
    Jennas Kopf verschwand und Beth kletterte zurück auf den Steg. Lächelnd beobachtete sie das Wasser.
    »Ich kann dich sehen!«, rief sie, obwohl es nicht stimmte. »Ich sehe – «
    Nasse Arme umschlangen sie und Beth schrie auf.
    »Hab dich«, meinte John David. »Jetzt musst du rein.«
    »Nein, J.D.!«, flehte Beth, während er sie zum Stegende hievte. Auch wenn er nur ein elfjähriger Junge in der Vorpubertät war, so war er doch schnell und stark. »Ich bin deine Mutter, und ich warne dich: Wenn du mich ins Wasser schubst, werde ich dir für immer böse sein. Ist es das wert?«
    John David seufzte und ließ sie los.
    Beth trat von der Stegkante zurück, betrachtete ihren Sohn und dachte: In zwei Jahren wirst du größer sein als ich.
    Wasserperlen glitzerten auf der haarlosen Kinderbrust.
    »Ich werde dir jetzt etwas sagen.« Sie bemühte sich um elterliche Strenge in ihrer Stimme. »Hörst du mir zu?«
    »Ja, Madam.«
    Er hatte immer noch eine hohe Stimme, bis zum Stimmbruch würde es mindestens noch ein Jahr dauern.
    »Ich möchte dir Folgendes… sagen!«
    Mit diesem Wort stieß sie ihn vom Steg, und er schrie auf, als er ins Wasser klatschte. Sie lachte, hob ihre Hände zur Siegerpose und rief: »Unterschätze niemals deine Mutter!«
    Während John David über diese Ungerechtigkeit schimpfte, zog ihn Jenna an den Fußknöcheln unter Wasser. Die Wellen, die der Jetski verursacht hatte, schlugen mittlerweile gegen den Steg.
    »Ich gehe rein!«, rief Beth. »Bleibt nicht mehr zu lange draußen!«
    »Komm
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