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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit
Autoren: P.B. RYAN
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Mutmaßungen über dieses tragische Ereignis, was gewiss nicht verwunderlich ist, bedenkt man den legendären Ruhm der Verstorbenen und die Umstände ihres Todes. Laut einem dieser Gerüchte, dessen Wahrheitsgehalt indes noch zu prüfen bleibt, soll man Miss Gannon mit einigen der berühmten Halsketten ihrer verschiedenen Dienstherrin in Händen aufgefunden haben. Von den zuständigen Behörden wurden Gutachter an den Tatort entsandt, und für heute Nachmittag wurde die amtliche Untersuchung des Todesfalls anberaumt, die zweifellos mehr Licht in diese höchst betrübliche Begebenheit bringen wird.
    Angehörige von Mrs. Kimball sind nicht bekannt, ebenso wie auch ihr früheres Leben vor ihrer Ankunft in unserer Stadt vor über zwanzig Jahren geheimnisumwittert bleibt. Aus diesem Grund hat ihr Anwalt Mr. Orville Pratt von der Kanzlei Pratt & Thorpe die traurige Pflicht auf sich genommen, die letzten Verfügungen seiner Mandantin zu treffen. Nach einem privaten Trauergottesdienst, der morgen Vormittag, den 3. Juni um 10 Uhr von Reverend Dr. Ezra Gannett in der Arlington Street Church abgehalten wird, soll Mrs. Kimball auf dem Forest Hills Cemetery in Roxbury beigesetzt werden. Mr. Pratt kündigte an, einen Gedenkstein für ihr Grab in Auftrag zu geben. Seines Wissens war Mrs. Kimball zum Zeitpunkt ihres Todes 48 Jahre alt, doch wie so viele Umstände ihres Lebens, wird wohl auch dies noch eine Weile Anlass zu allerlei Vermutungen geben.
    â€žMorgen früh soll sie schon beigesetzt werden?“ Nell schob die Zeitung so entschieden von sich, als ob dadurch alles weniger wahr, weniger schrecklich würde. „Ist das nicht etwas übereilt?“
    â€žMacht man vielleicht so bei den Unitariern“, meinte Peter achselzuckend und stippte mit einem Stückchen Scone den letzten Rest seines Hühnerkleins vom Teller. „Ist nämlich eine Unitarier-Kirche, wo der Gottesdienst stattfindet.“
    Nell wusste über die Unitarier kaum mehr, als dass der erzfromme Kongregationalist August Hewitt seinen jüngsten Sohn Martin, der in Harvard Theologie studierte, gern bezichtigte, dieser religiösen Strömung zugeneigt zu sein. So sehr lehnte Mr. Hewitt jeden auch nur angedeuteten Anflug von Liberalität bei seinem sonntäglichen Gottesdienst ab, dass er kürzlich erst der King’s Chapel, die er und Viola seit über dreißig Jahren besuchten, seine Zugehörigkeit aufgekündigt und sich der entschieden kongregationalistischen Park Street Church zugewandt hatte. Dass seine Gemahlin noch immer der King’s Chapel die Treue hielt, die dem Namen nach zwar zur anglikanischen Kirche gehörte, für August Hewitt indes „unitaristisch unterwandert“ war, gefiel ihm gar nicht – wie sähe das denn aus, hielt er seiner Frau vor, wenn ein Paar ihres gesellschaftlichen Standes verschiedenen Kirchen angehörte? –, aber Viola Hewitt hatte schon immer ihre eigenen Entscheidungen getroffen, und daran würde sich wohl so bald auch nichts ändern. Für Nell, die noch nie die genauen Unterschiede zwischen den verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen verstanden hatte, war dieser eheliche Zwist allenfalls verwirrend bis verwunderlich.
    â€žMir erscheint es etwas unschicklich, sie keine zwei Tage nach ihrem Tod beizusetzen“, meinte Nell. „So bleibt ja kaum Zeit, um jene, die sie kannten, davon in Kenntnis zu setzen, damit sie ihr die letzte Ehre erweisen können.“
    Lautes Gelächter lenkte Nells Aufmerksamkeit zur Dienstbotentreppe, die Dennis, ebenfalls ein Lakai, doch dunkelhaarig und stämmiger als Peter, soeben heruntergepoltert kam. „Glauben Sie vielleicht, irgendwer in dieser Stadt will dabei gesehen werden, wie er so einer die letzte Ehre erweist?“, fragte er höhnisch.
    Hinter Dennis kam Mary Agnes Dolan, eines der Stubenmädchen, die Treppe herunter. Sie war eifrig damit beschäftigt, sich ihr schwer zu bändigendes rotes Haar, das wild in alle Richtungen stand und schimmerte wie blank polierte Kupferdrähte, unter die weiße Rüschenhaube zu stecken. Dennis und sie nahmen sich zwei Teller und bedienten sich am Herd.
    â€žSag mal, Denny“, rief Peter, „hab ich dich nicht schon frühstücken sehen, als ich vor einer halben Stunde unten war?“
    â€žStimmt. Ich hab seitdem aber wieder mächtig Hunger bekommen.“ Dennis warf Mary Agnes einen
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