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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose
Autoren: Margie Orford
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Er war symmetrisch und glatt. In der anderen Tasche fand sie etwas Wechselgeld und einen fettigen Kassenzettel über vierundzwanzig namibische Dollar. All das ließ sie in einen weiteren Beutel gleiten. In der hinteren Hosentasche steckte ein Bleistiftstummel.
In eine Seite des Stiftes war eine Initiale, eine Art K eingekerbt. Vielleicht war es der Anfangsbuchstabe seines Namens; oder er hatte das Ding aus einem Mülleimer gefischt.
    Tamar stand auf und winkte den beiden Männern. Wie Messdiener traten sie mit ihrer Bahre zu ihr, legten den dürren Körper darauf und deckten ihn mit dem schmierigen Laken zu. Tamar öffnete das Holztor und begleitete sie mit ihrer kleinen Last zu dem Wagen, wo Karamata und van Wyk die Neugierigen in Schach hielten. Die beiden Willems setzten die Bahre ab, um die Heckklappe zu öffnen.
    »Die gleiche Geschichte?«, fragte Karamata.
    »Sieht so aus«, sagte Tamar. »Schauen Sie selbst. Was meinen Sie?«
    Karamata kniete neben dem Toten nieder und schlug das Laken zurück. Er strich über die verwesende Wange des Jungen.
    »Kennen Sie ihn?«, fragte Tamar, als sie die liebevolle Geste des stämmigen Mannes bemerkte.
    »Er hat mit meinen Söhnen Fußball gespielt.« Als Karamata aufstand, sah sie den Glanz in seinen Augen. »Seid vorsichtig mit ihm«, sagte er, als die beiden Gehilfen die Trage anhoben. Der größere Willem feixte, doch das Schwanken in seinem Gang endete an seinen Hüften, und er hob den Jungen ohne zu rucken an.
    »Wie heißt er?«
    »Alle haben ihn immer nur Kaiser genannt«, erwiderte Karamata.
    Tamar nickte. Demnach gehörte der Stift mit dem eingravierten K ihm.
    Das Knallen der Heckklappe des Leichenwagens schien die Schaulustigen aus ihrer Trance zu wecken. Sie zückten ihre Handys, um all jenen, die diese Aufregung bedauerlicherweise verpasst hatten, zu erzählen, was passiert war: dass es schon
wieder einen Toten gab; schon wieder war es eines von diesen Straßenkindern, die inzwischen an jeder Ampel um Geld bettelten.
    »Sein Nachname?«, fragte Tamar.
    »Apollis«, antwortete van Wyk. »Er hat eine Schwester. Sylvia. Eine Hure, genau wie er eine war. Wahrscheinlich liegt er darum im Leichenwagen.«
    »Sie kennen ihn auch?«, fragte Tamar.
    Van Wyk spuckte das Streichholz aus, mit dem er in seinen Zähne gestochert hatte. »Es ist eine kleine Stadt, Captain.«
    Captain Tamar Damases sah dem Fahrzeug nach, das die Straße entlangholperte. Schon zweimal war so etwas passiert, ohne dass sie auf irgendeine verwertbare Spur gestoßen war. Jungen, die gefangen, ermordet, zur Schau gestellt, beerdigt worden waren.
    Die brutalen Geheimnisse, die verschlüsselt in ihre Brust eingeritzt waren, ließen Tamar an Dr. Clare Hart denken.

3
    Riedwaan Faizal schlug die Decke zurück, wickelte ein Handtuch um seine Taille und trat ans Fenster. Nach ein paar Minuten tauchte Clare in der Ferne auf und nahm mit Tempo die Biegung des Sea Point Boulevard. Im dünnen Septemberlicht wirkte sie auf diese Entfernung wie eine Fremde, seiner intimen Kenntnisse zum Trotz, die er inzwischen erworben hatte und eifersüchtig bewahrte. Er schaute ihr nach, bis sie verschwunden war, dann fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Die senkrecht abstehenden schwarzen Stacheln hatten ihm in der Schule eine Menge Ärger gemacht. Immer wieder hatte man ihn zum Direktor geschickt und ihn nachweisen lassen, dass er sie nicht gegelt hatte. Inzwischen war das schon
ewig her. Zwei Jahrzehnte, plus-minus ein paar Jahre. Jetzt zeigte das Haar an manchen Stellen bereits graue Strähnen.
    Riedwaan wanderte durch Clares Wohnung, hob ab und zu etwas auf, legte es wieder zurück und fuhr mit dem Finger über die alphabetisch geordneten Buchrücken. Größtenteils Hardcover. Über dem Fernseher standen in mehreren Regalfächern Clares zum Teil preisgekrönten Dokumentarfilme, Videokassetten ihrer ausgestrahlten Reportagen und die Auszeichnung für einen Film, den sie über Menschenhandel im Kongo gemacht hatte. In ihren Reportagen ging es ihr darum, die Welt zu verbessern, und ihre Überzeugungen verliehen ihr den Mut, an Orte zu gehen, wo kein Netz sie auffangen würde, falls sie abstürzen sollte. Ihre feste Überzeugung, dass sich die Wurzel des Bösen finden und ausreißen ließ, passte auch zu ihrer Tätigkeit als Profilerin. Riedwaan war in dieser Hinsicht weniger überzeugt.
    Er blätterte durch den Stapel klassischer und Pop-CDs. »Wie viel Moby kann ein einzelner Mensch eigentlich hören?«, fragte
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