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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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zu schaffen. Sobald er den
Prozeß in Gang gesetzt und die genetischen Sequenzen
eingeschaltet hatte, welche die biologischen DNS-Abschnitte
zusammensetzten und duplizieren konnten, begannen die Zellen als
autonome Einheiten zu funktionieren. Sie begannen für sich
selbst zu »denken« und komplexere »Gehirne« zu
entwickeln.
    Seine ersten E. coli-Mutationen hatten die Lernfähigkeit von
Plattwürmern gehabt; er hatte sie durch einfache Labyrinthe
laufen lassen und Zuckerbelohnungen gegeben. Bald hatten sie die
Plattwürmer übertroffen. Die Bakterien – niedere
Prokaryoten – machten ihre Sache besser als vielzellige
Eukaryoten! Und innerhalb von Monaten hatte er sie dazu gebracht,
daß sie – Anpassungen des Maßstabs vorausgesetzt
– Leistungen erbrachten, die diejenigen von Mäusen
vergleichbar waren.
    Nachdem er die besten biologischen Sequenzen der veränderten
E. coli isoliert hatte, war er daran gegangen, sie in B-Lymphozyten
einzuschleusen, weiße Blutkörperchen aus seinem eigenen
Blut. Er hatte viele Intronketten – selbstduplizierende
Sequenzen von Basenpaaren, die anscheinend nicht für Proteine zu
verschlüsseln waren und einen überraschenden Prozentsatz
von eukaryotischer Zell-DNS enthielten – durch seine eigenen
entsprechenden Ketten ersetzt. Indem er künstliche Proteine und
Hormone als Kommunikationsmittel einsetzte, »erzog« Vergil
die Lymphozyten im Laufe der Zeit dazu, daß sie miteinander und
mit ihrer Umgebung soviel wie möglich in Wechselwirkung traten,
was auf ein sehr viel komplexeres Miniaturlabyrinth hinauslief. Die
Ergebnisse waren weit besser als er erwartet hatte.
    Die Lymphozyten hatten gelernt, die Schwierigkeiten des Labyrinths
mit unglaublicher Geschwindigkeit zu meistern und ihre nahrhaften
Belohnungen zu gewinnen.
    Er wartete, bis die Probe hinreichend angewärmt war, um aktiv
zu sein, dann schob er den Glasstreifen in den Objektträger
eines Mikroskops, setzte den Video-Aufnahmekopf auf das Okular und
übertrug das Bild auf den ersten von vier Bildschirmen, die in
einer Reihe über dem Arbeitstisch angebracht waren. Dort waren
ganz deutlich die ungefähr kreisförmigen Lymphozyten zu
sehen, in die er zwei Jahre seines Lebens investiert hatte.
    Geschäftig übertrugen sie genetisches Material
aufeinander, wobei sie sich langer, röhrenförmiger
Auswüchse bedienten. Einige der charakteristischen
Eigenschaften, die sie während der E. coli-Experimente
angenommen hatten, waren auf die Lymphozyten übertragen worden,
auf welchem Wege, das wußte er noch nicht genau. Die reifen
Lymphozyten reproduzierten sich nicht von selbst, doch frönten
sie mit scheinbar unermüdlicher Energie dem Austausch
genetischen Materials.
    Jedes weiße Blutkörperchen in der Probe, die er
beobachtete, hatte das intellektuelle Potential eines Rhesusaffen.
Aus der Einfachheit ihrer Aktivität war dies zwar nicht
ersichtlich; aber schließlich hatten sie es in ihrem bisherigen
Leben ziemlich leicht gehabt.
    Er hatte auf der Ebene chemischer Erziehung zu ihnen gesprochen
und sie soweit aufgebaut, wie er es für zweckmäßig
hielt. Nun war ihr kurzes Leben zu Ende – er hatte Anweisung,
sie zu töten. Nichts leichter als das: er brauchte bloß
Detergentien in die Behälter zu träufeln, und ihre
Zellmembranen würden sich auflösen. Sie würden der
Vorsicht und Kurzsichtigkeit einer Gruppe kaufmännisch denkender
Plattwurmtypen geopfert.
    Er begann vor Aufregung zu schnaufen, als er die geschäftige
Tätigkeit der Lymphozyten beobachtete. Sie waren schön. Sie
waren seine Kinder, seinem eigenen Blut entnommen, sorgfältig
ernährt und operiert; er selbst hatte das biologische Material
in mindestens tausend von ihnen injiziert. Und nun waren sie mit
Eifer dabei, all ihre Gefährten umzuwandeln, und so weiter, und
so weiter…
    Wie Washoe, die Schimpansin, die ihr Kind lehrte, in der
Taubstummensprache zu sprechen, gaben sie die Fackel potentieller
Intelligenz weiter. Wie würde er je wissen, ob sie ihr gesamtes
Potential nutzbar machen konnten?
    Pasteur.
    »Pasteur«, sagte er laut. »Jenner.«
    Sorgsam bereitete er eine Injektion vor. Die Brauen
zusammengezogen, stieß er die Kanüle durch den
Wattestöpsel des ersten Reagenzglases und tauchte sie in die
Lösung. Er zog die Spritze auf. Die pastellfarbene
Flüssigkeit füllte den zylindrischen Raum; fünf, zehn,
fünfzehn Kubikzentimeter.
    Minutenlang hielt er die Spritze in Augenhöhe und war sich
dabei bewußt, daß er im Begriff war,
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