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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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verstärkte –
erwachten die Lymphozyten aus ihrer Kühlschrank-Erstarrung und
setzten ihre Entwicklung fort.
    Sie lernten weiter, fügten den abgeänderten Teilen ihrer
DNS neue Abschnitte hinzu. Und wenn die neue DNS im normalen Ablauf
des Zellwachstums in RNS umgesetzt wurden, die als eine Art Schablone
zur Erzeugung von Aminosäuren diente, und die Aminosäuren
in Proteine umgewandelt wurden…
    … dann würden die Proteine mehr sein als bloß
Einheiten der Zellstruktur; andere Zellen würden imstande sein,
sie zu lesen. Oder die RNS selbst würde verdrängt, von
anderen Zellen absorbiert und gelesen. Oder – und diese dritte
Option hatte sich gestellt, nachdem Vergil Bestandteile bakterieller
DNS in die Chromosomen von Säugetieren eingeführt hatte
– Segmente der DNS selbst konnten entfernt und weitergegeben
werden.
    Jedesmal, wenn er darüber nachdachte, schwirrte ihm der Kopf
von Möglichkeiten, Tausenden von Wegen, auf denen die Zellen
miteinander kommunizieren und ihren Intellekt entwickeln konnten.
    Die Vorstellung von einer intellektuellen Zelle war ihm noch immer
wundervoll fremd. Sie ließ ihn innehalten und sinnend die Wand
anstarren, bis er wieder zu sich kam und seine Arbeit fortsetzte. Er
steckte eine Pipette in eines der Reagenzgläser. Das kalibrierte
Instrument nahm die eingestellte Flüssigkeitsmenge auf, die er
in die kreisförmige Vertiefung eines Glasstreifens tropfen
ließ.
    Von Anfang an hatte Vergil die Überzeugung gehegt, daß
seine Ideen weder abwegig noch nutzlos waren. In seinen ersten drei
Monaten bei Genetron, wo er mitgeholfen hatte, die
Silikon-Protein-Zwischenschicht für die Biochips zu entwickeln,
hatten ihn davon überzeugt, daß die Erfinder des Projekts
etwas ganz Offensichtliches und äußerst Interessantes
übersehen hatten.
    Warum sich auf Silikone und Proteine und Biochips von der Breite
eines Hundertstelmillimeters beschränken, wenn in beinahe jeder
lebenden Zelle bereits ein funktionierender Computer von enormer
Speicherfähigkeit vorhanden war? Eine Säugetierzelle
besaß einen DNS-Satz von mehreren Milliarden Basispaaren, von
denen jedes als ein Stück Information wirkte. Was war Vererbung
schließlich anderes als ein computerisierter biologischer
Prozeß von enormer Komplexität und
Zuverlässigkeit?
    Genetron hatte den Zusammenhang noch nicht gesehen, und Vergil war
seit langem entschlossen, seine Idee für sich zu behalten. Er
würde seine Arbeit tun und nebenbei die Richtigkeit seiner
Vorstellungen beweisen, indem er Milliarden von zellularen Computern
schuf; dann wollte er Genetron verlassen und sein eigenes
Laboratorium, seine eigene Firma gründen.
    Nach anderthalbjähriger Vorbereitungs- und Studienphase hatte
er angefangen, nach Feierabend an der Genmaschine zu arbeiten. Mit
Hilfe eines Datenanschlusses konstruierte er Ketten von Basen zu
Codonen, von denen jedes zur Grundlage einer einfachen
DNS-RNS-Protein-Logik wurde.
    Die frühesten biologischen Ketten waren als kreisförmige
Plasmide in E. coli-Bakterien eingesetzt worden. Diese hatten die
Plasmide absorbiert und in ihr ursprüngliches DNS eingegliedert.
Bei der Zellteilung hatten die Bakterien dann auch die Plasmide
dupliziert und weitergegeben. In der entscheidendsten Phase seiner
Arbeit hatte Vergil virale Umkehr-Transkriptase verwendet, um die
Rückkopplungsschleife zwischen RNS und DNS zu fixieren. Selbst
die frühesten und primitivsten Bakterien hatten Ribosomen als
Verschlüsselungs- und Leseelemente verwendet, und RNS als
»Band«. Durch die Rückkopplungsschleife konnten die
Zellen ihr eigenes Gedächtnis und die Fähigkeit zur
Verarbeitung von und Reaktion auf äußere Einflüsse
und Informationen entwickeln.
    Die eigentliche Überraschung war gekommen, als er seine
veränderten Mikroben überprüft hatte. Die
Rechenkapazität selbst der bakteriellen DNS war enorm,
verglichen mit von Menschen entwickelter Elektronik. Vergil brauchte
nur zu nutzen, was bereits vorhanden war, den entscheidenden
Anstoß zu geben.
    Mehr als einmal hatte er das unheimliche Gefühl, daß
seine Arbeit zu leicht voranging, daß er weniger ein
Schöpfer sei als viel mehr ein Diener… Wie anders war zu
erklären, daß die Moleküle wie von selbst in ihren
zugewiesenen Platz zu fallen schienen, oder in solch einer Weise
versagten, daß er seine Irrtümer klar erkannte und
sogleich wußte, wie er sie zu berichtigen hatte?
    Der unheimlichste Augenblick aber kam, als er begriff, daß
er mehr tat als winzige Computer
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