Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
darunter war von tiefen,
schwärenden Wunden übersät. Er trug ein vielleicht sechs- oder
siebenjähriges Kind im linken Arm, das er selbst jetzt noch mit
aller Kraft an sich presste. Sein rechter Arm fehlte, er endete
dicht über dem Ellbogen in einem unordentlichen Wust
blutgetränkter Verbände, von denen ein erbärmlicher Gestank
ausging.
Für einen Moment weckte der Anblick eine uralte, düstere
Gier in Andrej. Er kämpfte das Gefühl mit aller Macht nieder
und richtete sich wieder auf.
Der Verwundete versuchte erneut, nach ihm zu treten, und ließ
endlich das Kind los. Als es davonkroch, rutschte sein Kleid
hoch und Andrej sah, dass es ein Mädchen war. Wieder wollte
der Verwundete nach ihm treten. Andrej schlug seinen Fuß zur
Seite, achtete aber darauf, nicht zu hart zu treffen. Er spürte die
Qualen, die der Mann litt.
»Verdammt noch mal, hör endlich auf«, sagte er. »Ich bin
nicht dein Feind.«
Der Verwundete stöhnte. Andrej warf einen raschen Blick zu
dem Mädchen hin. Es hatte sich zwei oder drei Schritte weit
geschleppt und kauerte nun dort – zitternd vor Angst und an
einen Baumstamm gelehnt. Andrej beugte sich wieder vor und
betrachtete das Gesicht des sterbenden Mannes aufmerksamer.
Erneut stieg ihm der Geruch von Blut und Fäulnis in die Nase,
und wieder flackerte die archaische Gier in seinem Inneren auf,
doch diesmal bereitete es ihm keine Mühe, sie zu unterdrücken,
spürte er doch auch zugleich den Tod, der seine Klauen bereits
zu tief in das Fleisch des Mannes geschlagen hatte. Er würde
sterben. Keine Macht der Welt konnte das jetzt noch verhindern.
Sein Blut war bereits vergiftet und würde selbst für Andrej zu
einem Schluck aus dem Schierlingsbecher werden.
Das Gesicht des Mannes war aschfahl, Schweiß glänzte auf
seiner Stirn und seine Augen hatten einen trüben, fiebrigen
Glanz. Andrej war nicht sicher, dass er seine Worte überhaupt
noch hörte, dennoch fuhr er fort: »Ich bin nicht dein Feind, ich
will dir nichts tun. Verstehst du das? Ich will dir helfen!«
Der Mann begann, irgendetwas zu stammeln. Fieberfantasien
ohne Sinn vermutlich, doch Andrej beugte sich ein wenig weiter
vor, um sein Ohr näher an seine Lippen zu bringen.
Dann – plötzlich – loderte etwas in den Augen des
Verwundeten auf, und das Entsetzen darin gewann eine neue,
noch schlimmere Qualität, während sich sein Blick an einem
Punkt irgendwo hinter Andrej festsaugte. Er hörte leise Schritte
und das Rascheln von Stoff. Abu Dun war gekommen.
Im gleichen Moment stieß das Mädchen einen schrillen, sich
überschlagenden Schrei aus. »Dauga!«
Und dann schien alles gleichzeitig zu geschehen.
Der Verwundete bäumte sich noch einmal und diesmal höher
auf. Ein gurgelnder Schrei kam über seine Lippen und seine
verbliebene Hand zuckte zum Gürtel und riss einen kurzen,
beidseitig geschliffenen Dolch mit schartiger Klinge hervor, der
sich wie der Giftzahn einer angreifenden Schlange in Andrejs
Hals bohren wollte.
Abu Dun stieß ein überraschtes Knurren aus und Andrej warf
sich zur Seite und schlug in der gleichen Bewegung mit dem
Handrücken nach dem Unterarm des Verletzten. Er hatte den
Angriff kommen sehen, sodass es ihn kaum Mühe kostete, ihn
abzuwehren.
Was er vergessen hatte, war das Kind. Andrej sah auch diese
Bewegung im letzten Moment aus den Augenwinkeln. Ein
rasendes Huschen, das auf ihn zusprang, doch diesmal kam
seine Reaktion zu spät. Auch das Mädchen hielt plötzlich eine
Waffe in der Hand. Eine dünne bösartige Klinge, die mit einem
hässlichen Geräusch durch sein Hemd schnitt und einen weiß
glühenden, grässlichen Schmerz tief in seinen Leib hineintrieb.
Andrej brüllte vor Qual, krümmte sich und schlug die schmale
Hand mit solcher Kraft beiseite, dass das Mädchen mit einem
Schmerzensschrei zurücktaumelte und zu Boden ging. Für einen
Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Er fiel auf die Knie,
sank nach vorne und fing seinen Sturz in letzter Sekunde mit
dem ausgestreckten Arm ab. Die andere Hand presste er gegen
seine Seite, in der noch immer eine unbeschreibliche Qual
wühlte. Warmes Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und
sein Blick begann sich zu verschleiern.
Wie von weither registrierte er, wie der Verletzte aufsprang
und davontaumelte.
»Das Mädchen«, keuchte Andrej. »Abu Dun, hol das Mädchen!«
Für einen kurzen Augenblick schwanden ihm endgültig die
Sinne. Er fiel zu Boden, und als sich die Schwärze vor seinen
Augen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher