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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder
Autoren: Nevada Barr
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Behälter aus Hartplastik verstaut, den Rory tragen würde. Anna und Joan teilten den Rest der Ausrüstung unter sich auf: Heftklammern zum Befestigen von Drähten, Hämmer, Röhrchen mit Ethanol für die Kotproben, Umschläge für Haare, ein Logbuch, um wichtige Angaben zu den Fallen festzuhalten – zum Beispiel, wo genau in dem viele Tausend Quadratkilometer großen Nationalpark sich jede der hundert Quadratmeter umfassenden Fallen befand, damit das nächste Forscherteam sie nicht suchen musste. Die Stinktierköder, insgesamt fünf, wogen nahezu nichts. Wolle, getränkt mit aus einem Katalog für Jägerbedarf bestelltem Duftstoff, wurde erst in Filmdosen und danach in ein Schraubdeckelglas gesteckt und wanderte dann in Annas Rucksack. Es dauerte keine zwei Stunden, alles zu Joans Zufriedenheit zu erledigen.
    Den restlichen Abend verbrachten die beiden Frauen an dem zerkratzten Eichentisch in Joans Essecke und studierten Berichte, die Zusammentreffen mit Bären dokumentierten. Joan wohnte in einem Haus auf dem Parkgelände, in dem Anna sich merkwürdig heimisch fühlte. Unterkünfte wie diese ähnelten sich auf eine Weise, die in ihr ein seltsames, unwirkliches Déjà-vu-Gefühl auslöste.
    Das lag nicht nur an dem typischen Grundriss aus dem Jahr 1966: drei Schlafzimmer, ein L-förmiges Wohnzimmer und eine lange, schmale Küche, geplant zu einer Zeit, als die Nationale Parkaufsicht zum letzten Mal nennenswerte Mittel für den Bau von Wohnraum für ihre Mitarbeiter erhalten hatte. Der Grund war eher die Einrichtung. Wildhüter, Forscher und Umweltschützer hatten unweigerlich Poster vom Park an den Wänden, ein oder zwei Indianermasken im Regal, Navajo-Läufer auf dem strapazierfähigen Teppichboden und nicht zusammenpassendes, unzerbrechliches Plastikgeschirr in der Küche.
    Dass die Umgebung so sehr ihren Erwartungen entsprach, hatte Annas angeborene Neugier gedämpft. Nun erinnerte sie sich wieder an ihre Vermutungen, was die Familienverhältnisse ihrer Gastgeberin betraf, nahm die Lesebrille aus dem Drugstore ab, zu der sie sich inzwischen bekannte, um Dinge aus der Nähe sehen zu können, und blickte sich in dem kleinen Wohnzimmer um.
    Auf dem Fernseher, zwischen einer Kokopelli-Puppe auf einem ojo de Dios und dem Schädel eines großen Nagetiers, entdeckte sie die gerahmten Schulfotos zweier Jungen, entweder zweieiige Zwillinge oder fast im gleichen Alter. Beide waren ungewöhnlich schön, der lebendig gewordene Traum jedes Pädophilen.
    Es erschreckte Anna, dass sie so über Kinder dachte. Finstere Grübeleien, düstere Vorahnungen und die Neigung, die Welt als schmutzig und gefährlich zu betrachten, war bei Gesetzeshütern eine Berufskrankheit – selbst bei Parkpolizisten, die ihre Tage in einer wunderschönen Landschaft inmitten von gutartigen, wenn auch manchmal irregeleiteten, Touristen verbrachten.
    Ihre Beförderung zur Bezirksleiterin der Parkpolizei im Natchez Trace Parkway forderte ihren Tribut. Da eine Straße durch den Park verlief, hatte Anna hauptsächlich polizeiliche Aufgaben, denn Asphalt übte eine magische Anziehungskraft auf Verbrecher aus.
    Die Jungen auf den Fotos waren jedoch keine potenziellen Opfer, sondern verkörperten die Zukunft. »Sind das deine Söhne?«, fragte Anna, nachdem sie ihre innere Einstellung dementsprechend justiert hatte.
    »Luke und John«, erwiderte Joan.
    Bewährte biblische Namen. Anna schmunzelte. »Was ist aus Matthew und Mark geworden?«
    »Fehlgeburten.«
    Annas Verstand kam schliddernd zum Stehen. Ein schlechter Witz hatte einen Nerv getroffen. »Mist«, sagte sie.
    »Stimmt.«
    Schweigen entstand, nur dass es diesmal seltsam angenehm war, was Anna angesichts des Auslösers umso mehr erstaunte.
    »John schließt in diesem Jahr die Highschool ab. Luke ist im dritten Jahr. Ich bin in der Stillzeit gleich wieder schwanger geworden. Wieder ein Ammenmärchen dahin. Sie wohnen bei ihrem Dad in Denver.«
    Eine weitere Erklärung erübrigte sich. Die Arbeit in einem Nationalpark, so wundervoll sie auch sein mochte, war die Hölle für jede Ehe. Anna kannte die traurigen Fotos, die versprengte Familien zeigten, nur zu gut.
    Begleitet von einem besorgniserregenden Knirschen – Anna hoffte, dass es die hölzerne Stuhllehne und nicht Joans Bandscheiben waren – erhob sich die Forscherin, holte die Fotos vom Fernseher und stellte sie zwischen die Berichte und die Röhrchen für die Stuhlproben auf den Tisch.
    »Hübsche Jungen«, meinte Anna, um ihre schwarzen
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