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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition)
Autoren: Joe R. Lansdale
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aufgemacht zu haben. Ganz sicher war er sich allerdings nicht. Der Schall füllte seinen Schädel aus wie die Luft einen Ballon.
    Das Ganze war nur ein kurzes Aufblitzen von Farben und Bildern und Geräuschen und Übelkeit. Ein Gesicht, das vor seinem inneren Auge erbebte und hin und her sprang. Eine rote Explosion. Ein feiner weißer Riss quer durch seinen Verstand, gefolgt von …
    Erschöpfung.
    Einer schweißnassen Stirn.
    Vollgepinkelten Hosen.
    Im Prinzip passierte nicht viel.
    Innerhalb von Sekunden war alles vorbei.
    Mit wackligen Knien stieg er aus dem Auto, schloss langsam die Tür, ging nach Hause, um Hose und Unterhose zu wechseln, und spielte nie wieder bei den Autowracks.

Kapitel 5
    Nun passierte in dem Honkytonk unterhalb von Harrys Haus eines Nachts, an einem Samstag, Folgendes: Nachdem die Kneipe die Schotten dichtgemacht hatte und all der Rummel vorüber war und die Autos weggefahren waren und auch alle Besucher das Autokino auf der anderen Seite des Highways verlassen hatten, geschah gegen drei Uhr morgens, während des Aufräumens eine halbe Stunde nach Feierabend, ein Mord.
    Niemand erfuhr davon, bis am Montag gegen zwei Uhr nachmittags das Honkytonk wieder aufmachen sollte.
    Der Kerl, der die Leiche entdeckte, war ein Stammkunde namens Seymour Smithe – ausgesprochen wie Smith, aber Smithe geschrieben, und damit nahm Seymour es sehr genau. »Mein Name ist Smithe, mit einem e am Ende.«
    Die meisten Menschen hielten ihn einfach für einen Säufer.
    Er hatte mehr Jobs verloren, als ein Eichhörnchen Nüsse futterte.
    Doch eins konnte er, und zwar Bibeln verkaufen. Das machte er richtig gern. Er hatte keinen Schimmer von dem Buch, abgesehen davon, was er in dem uralten Schinken Die zehn Gebote gesehen hatte, doch er kriegte die Dinger los wie warme Semmeln, weil all die Christen – oder Möchtegern-Christen – unbedingt eine haben und auch ganz bestimmt darin lesen wollten.
    Seymour machte sich ihre Angst zunutze. Mit Angst ließen sich die meisten Dinge verkaufen.
    Versicherungen.
    Politik.
    Krieg.
    Und Bibeln mit Goldschnitt.
    Wenn Smithe nicht gerade Bibeln verkaufte, trank er.
    Und darin war er wirklich gut, im Trinken.
    In ihm offenbarten sich gewissermaßen das Alte und das Neue Testament des Trinkers.
    Gerade dachte er ans Trinken und daran, dass er heute noch ein paar Bibeln verkaufen musste, und er dachte an die Frau, mit der er sich tags zuvor auf ihrer Veranda unterhalten hatte. Was für eine Granate. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie ihn wiedersehen wollte, auch wenn sie weder eine Bibel gekauft noch ihn hereingebeten hatte.
    Aber sie hatte gelächelt. Und sie hatte Interesse gezeigt, obwohl sie ihm nichts abgenommen hatte. Zwischen ihnen hatte es geknistert; da war er sich fast sicher.
    Fast.
    Er brauchte Gewissheit und meinte, nach vier bis fünf Bier würde er klarer sehen.
    Die Tür war angelehnt, auf dem Schild stand Geöffnet , also ging Seymour geradewegs hinein. Drinnen war es kühl und dunkel, und es roch genau wie immer, nach Bier und Schweiß und Notgeilheit, alles vermengt von der Klimaanlage. Aber da lag noch etwas anderes in der Luft. Nur ganz schwach, doch er erkannte den Geruch sofort wieder.
    Früher hatte er mal einen Sommer lang in einem Schlachthaus gearbeitet, und wenn man diesen Geruch einmal in der Nase gehabt hatte, erkannte man ihn überall wieder, egal ob frisch oder alt – in jedem Zustand roch er anders und doch irgendwie gleich.
    Es war der Geruch von Blut.
    Seymour stellten sich die Nackenhaare auf, und er dachte – oder bildete sich ein –, dass er neben dem Kneipengeruch seine eigene Angst roch, einen sauren Gestank nach Schweiß und Verwesung. Und hinten auf seiner Zunge schmeckte er Kupfer. Langsam und geduckt drehte er sich um und rechnete jeden Augenblick damit, dass jemand wie eine gottverdammte Gazelle aus der Dunkelheit auf ihn zusprang.
    Und er sah tatsächlich jemanden.
    Aber sie würde keine großen Sprünge mehr tun.
    Evelyn Gibson.
    Die einst so attraktive Evelyn Gibson, die Inhaberin des Honkytonk. Die lebhafte kleine Frau mittleren Alters mit dem dunklen, wogenden Haar, dem federnden Schritt und dem schwingenden Hinterteil, letzteres meist hübsch verpackt in schwarze Minikleider, die Backen von breiten schwarzen Absätzen emporgehoben.
    Sie hockte neben der Jukebox und hatte den Kopf darangelehnt, doch er war eigentümlich weit zur Seite geneigt. Das lag daran, dass ihre Kehle von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt war.
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