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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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gesunken, doch noch war kein Tauwetter zu erwarten. Marie von Langenau sog die würzige Waldluft ein und legte eine Hand auf den Kopf des grauen Wolfshunds neben ihr. »Das hätten wir uns nicht träumen lassen, einmal hierher zurückzumüssen, mein Freund.«
    Die junge Frau stand am Waldrand. Vor ihr führte ein ausgetretener Pfad hinunter zum Gut, und unter anderen Umständen hätte sie sich über einen längeren Aufenthalt auf dem elterlichen Besitz gefreut. Doch alles hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die kleine Marie, die sich mit den Brüdern vor den strengen Lehrern in den Wald flüchtete, um Hasen zu schießen. Seufzend strich sie sich eine lange, dunkelblonde Locke aus der Stirn.
    Das Gut machte einen vernachlässigten Eindruck. Die Dächer der Stallungen waren notdürftig geflickt, die Unterkünfte des Gesindes baufällig, genau wie das Wohnhaus, dessen Front einst mit prächtigem weißgrünem Stuck beeindruckt hatte. In der Morgensonne waren die Löcher im Putz und die über Jahre unbehandelten Wasserschäden selbst aus der Entfernung deutlich zu sehen. Marie hob den Rocksaum an, um über die Wurzel einer mächtigen Fichte zu steigen. Albrecht, ihr ältester Bruder und Erbe von Kraiberg, war ein schlechter Gutsherr, und sie hatte ihn kaum wiedererkannt. Als sie vor einem Monat mit ihren Habseligkeiten angekommen war, hatte sie nicht mit einer überschäumenden, so doch mit einer herzlichen Begrüßung gerechnet, doch Albrecht war ihr mit verletzender Reserviertheit gegenübergetreten.
    Marie setzte vorsichtig einen Stiefel auf die gefrorene Schneedecke und genoss das knirschende Geräusch des einsinkenden Fußes. Der Hund stapfte langsam neben ihr her, die Nase witternd in alle Richtungen reckend. Als er innehielt und seiner Kehle ein leises Knurren entwich, blieb Marie stehen. »Was ist, Aras?«
    Sie kniff die Augen zusammen, aber zwischen ihr und dem Gut lag nur ein schneebedecktes Feld. An den Rändern wurde es von kahlen Laubbäumen und Buschwerk begrenzt. Plötzlich stellten sich Aras’ Nackenhaare auf, und seine Muskeln spannten sich zum Sprung. »Ist da wer?«, rief Marie laut.
    »Kein Grund zur Sorge, Herrin!«, kam es seitlich von ihr aus dem Wald, und ein Mann sprang in den Schnee, der wider Erwarten tief war und ihn bis zu den Oberschenkeln versinken ließ.
    »Grüß dich Gott, Anton! Hast du uns erschreckt! Ruhig, Aras.« Sie tätschelte dem Hund den Rücken, und das Knurren verebbte.
    Anton befreite sich aus der Schneewehe, schüttelte seinen Umhang aus und begutachtete seine Armbrust. Seine Familie gehörte seit Generationen zu den Pächtern von Kraiberg, und Marie kannte den fleißigen Mann seit Kindertagen. Er hatte die Tochter des Schusters aus dem Nachbardorf geheiratet.
    »Wie geht es deiner Frau?«, erkundigte sich Marie und wartete, bis er bei ihr war.
    Seine Kleidung war an vielen Stellen geflickt, aber sauber. Die Armbrust stammte noch aus der Zeit ihres verstorbenen Vaters, der seinen Pächtern bei guter Bewirtschaftung des Landes Geschenke gemacht hatte. An so etwas verschwendete Albrecht keine Gedanken. Anton musste kaum zehn Jahre älter sein als sie selbst, doch seine Züge waren von harter Arbeit und einem entbehrungsreichen Leben geprägt. Es war nicht richtig, dass Albrecht seine Pächter auspresste, bis ihnen kaum noch etwas zum Leben blieb. Marie schämte sich für ihren unbarmherzigen Bruder.
    »Und Gott mit Euch!« Der Pächter neigte den Kopf und schenkte ihr unter seinem breitkrempigen Hut ein strahlendes Lächeln. »Dank Eurer Hilfe geht es meiner Agnes viel besser. Das Fieber ist fast verschwunden.« Über seiner Schulter hingen zwei kleine Hasen, und er zog das Messer aus seinem Gürtel, um einen abzuschneiden.
    »Lass nur, Anton. Ihr braucht das Fleisch nötiger. Du hast genug hungrige Mäuler zu stopfen, und der Winter ist noch lang nicht vorbei.« Die Ernten waren schlecht gewesen, und das Korn wurde allerorten knapp. Ihr Bruder hätte die Hasen von Anton eingefordert, und sie warf rasch einen Blick den Weg hinunter, doch niemand war zu sehen. »Nimm sie und mach dich davon. Na, geh schon!«
    Doch Anton senkte den Blick, räusperte sich einige Male und sagte schließlich: »Ihr seid so gut, Herrin. Da ist noch etwas.«
    »Ja?«, ermunterte sie den Pächter.
    »Paul, mein Sohn, ist ein guter, ehrlicher Junge. Sie haben ein Kindshändel bei ihm gefunden!«
    Erschrocken ließ Marie die Röcke fahren und suchte Halt bei Aras, der neben sie getreten war. »Das
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