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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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machen, dem das Leben eine Kindheit versagt und einen bitteren Überlebenskampf beschert hatte. Ruben betrachtete die Kupferstiche mit mäßigem Interesse. »Tischplatten?«
    Entrüstet schnaufte Sallovinus. »Du sagst das, als wären das einfache Platten aus bunten Steinen und etwas Holz! Sieh doch mal hin. Hast du denn gar nichts bei mir gelernt?«
    »Tut mir leid, Meister. Ich dachte nur, Ihr freut Euch über den unverhofften Festschmaus«, murrte Ruben, beugte sich jedoch erneut über die Blätter.
    »Natürlich. Ich danke dir, mein Freund. Ohne dich wäre ich schon längst nicht mehr.« Und das kam aus tiefstem Herzen, denn Ruben kümmerte sich um Sallovinus tatsächlich wie ein eigener Sohn. »Hat Castrucci Grund zum Feiern?«
    Ruben legte die Gänsekeule auf ein Holzbrett und widmete sich weiter den kleinteiligen Abbildungen. »Er hat einen Auftrag von Herzog Maximilian für einen Prunktisch.«
    Bedächtig schnitt Sallovinus sich einen Streifen Gänsefleisch ab. »Maximilian, Herzog von Bayern, ein großer Kunstkenner und -sammler, und hier haben wir Kupferstiche von einem alten Freund aus Bayern, von dem ich jahrelang nichts gehört habe. Ein bloßer Zufall?«
    Ruben zuckte mit den Schultern und tippte auf die Blätter. »Also, ich denke, die Tafeln sind florentinischer Herkunft. Der Stil erinnert mich an Castruccis frühe Arbeiten oder auch an ältere Florentiner Steinschneider. Mit den Bildern in der Mitte weiß ich nicht so viel anzufangen. Sind die gemalt?«
    »Nicht schlecht! Der äußere Rand mit den Blumen und Tieren ist eine Pietra-Dura-Arbeit, und die Bilder, die aussehen wie gemalt, sind in der wenig bekannten Scagliola-Technik gefertigt. Maximilian von Bayern liebt Scagliola-Arbeiten und bildet sich viel darauf ein, derzeit der Einzige zu sein, der Künstler hat, die in Scagliola für ihn arbeiten. Aber diese Tafeln sind nicht nur künstlerisch wertvoll, Ruben.« Sallovinus machte eine bedeutsame Pause und nickte gedankenvoll vor sich hin.
    »Nein?«, hakte Ruben, neugierig geworden, nach.
    »Oh nein! Ich müsste mich sehr irren, wenn das hier nicht die sagenumwobenen Tafeln sind … Sie galten als verschollen und sind das Vermächtnis eines geheimnisvollen Gelehrten, über dessen Existenz kaum etwas bekannt ist. Je länger ich die Stiche betrachte, desto sicherer bin ich mir. Nur wenige wissen überhaupt von ihrer Existenz, und selbst innerhalb dieses kleinen Kreises hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Tafeln nur eine Legende sind. Was haben wir uns damals darüber gestritten und uns die Köpfe heißgeredet. Mein Gott, so lange ist das her. Aber nun …«
    Ein Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit. Ruben ging zu einem der Buntglasfenster, in dem Teile bereits durch geöltes Papier ersetzt worden waren. »Ihr solltet die Hälfte der Bücher verkaufen. Dann könnt Ihr das Fenster erneuern und genügend Holz für vier lange Winter kaufen.« Er öffnete das Fenster, um hinunterzusehen.
    »Die Bücher sind Weggefährten, Freunde. Verkauft man einen Freund?«, murrte Sallovinus und streichelte liebevoll über einen aufgequollenen Ledereinband.
    Sie befanden sich im zweiten Stock eines baufälligen Hauses direkt am Hirschgraben. In der Schlucht am Fuße der düsteren Burg hatte Rudolf einst der Jagd gefrönt, und Unruhestifter wurden dort unten in Käfigen an meterhohen Tannen aufgehängt, wo sie elend verhungerten. Das Fenster ging zur Gasse, in der es stiller war als gewöhnlich. Der Schnee schluckte sämtliche Geräusche. Ein Junge, den Ruben aus der Werkstatt kannte, winkte ihm zu.
    »Kommt schnell, Herr Ruben, der Meister verlangt nach Euch!« Der Junge hüpfte auf und ab und schlug sich die Arme um den dünnen Leib.
    Ruben nickte und schlug das Fenster zu. »Ich muss noch einmal zurück, Bernardus. Seid mir nicht gram. Geduldet Euch bis heute Abend.«
    »Ich werde hier sein, denn Zeit und Geduld sind das Einzige, was ich im Überfluss besitze«, sagte der Alte mit einem müden Lächeln.
    Mit einem letzten Blick auf die Stiche griff Ruben nach seinem Mantel und eilte davon.
    »Das Temperament gebührt der Jugend …«, murmelte Sallovinus, doch er wandte die Augen nicht von den Stichen. Hin und her wendete er die Blätter und konnte sich nicht sattsehen an den geheimnisvollen Motiven, die von kunstvoll arrangierten Ornamenten umrahmt wurden. »Remigius, du alter Fuchs! Du hast immer mehr daran geglaubt als wir. Es gibt sie also, die vier Tafeln! Nur wer sie alle besitzt, wird ihr Geheimnis
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