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Blitze des Bösen

Blitze des Bösen

Titel: Blitze des Bösen
Autoren: John Saul
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schikanieren wolle und
daß seine Hinrichtung ein Justizirrtum sei.
Er ist schuldig. Daran bestand für Anne nicht der Schatten
eines Zweifels. Richard Kraven war vor Gericht gestellt, überführt und verurteilt worden. Und nicht nur der Richter, sondern
auch das Berufungsgericht hatte entschieden, daß Richard
Kraven heute sterben mußte.
Sie würde bei der Hinrichtung zusehen und keine Regung
zeigen, wenn der Henker den Schalter drückte. Doch obwohl
sie sich Mut zusprach und sich auf das Kommende einstellte,
brannten ihr Tränen in den Augen.
Als sie ein Papiertuch aus dem Spender zog, um sich die
Tränen abzuwischen, klopfte es an der Tür. Dann hörte sie die
Stimme des stellvertretenden Gefängnisdirektors.
»Mrs. Jeffers? Er möchte Sie sprechen.«
Sie knüllte das Papier zusammen, warf es in den Papierkorb,
fuhr sich kurz mit den Fingern durchs Haar, überprüfte ihr
Spiegelbild und öffnete die Tür.
»Der Direktor?« erkundigte sie sich. »Warum will er mich
sprechen?«
Der Stellvertreter zögerte kurz und schüttelte den Kopf.
»Nicht Mr. Rustin, sondern Richard Kraven. Sie stehen auf der
Liste der Leute, mit denen er heute morgen reden möchte.«
Anne spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sie den
Presseraum betrat. Warum wollte Richard Kraven mit ihr
sprechen? Was konnte er noch sagen, was er in den unzähligen
Interviews, die sie seit Jahren mit ihm geführt hatte, nicht
schon längst gesagt hatte? Wollte er etwa in seinen letzten
Minuten doch noch ein Geständnis ablegen? Während ihr diese
Fragen durch den Kopf gingen, bemerkte sie, daß das emsige
Tippen auf den Tastaturen aufgehört hatte. Im Presseraum
herrschte Schweigen, und alle Kollegen blickten auf sie.
Anne machte sich noch einmal Mut.
Wenn sie ihm schon beim Sterben zusah, konnte sie es auch
ertragen, das anzuhören, was er ihr vorher noch zu sagen hatte.
»In Ordnung«, sagte sie zu dem Beamten, der ihr gefolgt
war. Unwillkürlich fragte sie sich, ob die Worte nicht zu laut
für die Stille im Raum gewesen waren. »Jetzt gleich?«
Der Beamte zuckte die Schultern: »Ich weiß nicht. Mir wurde nur gesagt, daß ich Sie ins Büro bringen soll. Mr. Rustin
dachte, daß Sie vielleicht lieber dort warten wollen.«
Anne zögerte. Dann bemerkte sie, daß die Reporter schon
begannen, die Fragen zu formulieren, die sie Richard Kraven
stellen sollte. Kurz stieg Ärger in ihr hoch, doch dann dachte
sie, daß sie selbst auch jemandem, der zu Kraven gerufen
worden wäre, noch eine Frage mitgegeben hätte. Schließlich
hegten alle die Hoffnung auf ein letztes Exklusivinterview.
Aber heute morgen hatte sie keine Lust, sich die Fragen
anzuhören. Sie wehrte die Zettel, die ihr entgegengestreckt
wurden, als sie durch den Raum ging, ab. An der Tür drehte sie
sich zu ihren Kollegen um und erklärte: »Ich will ihm einfach
nur zuhören. Ich stelle ihm überhaupt keine Frage. Aber glaubt
mir, ihr werdet jedes Wort erfahren, das er von sich gibt.«
Bevor noch jemand Protest einlegen konnte, hatte sie auch
schon den Raum verlassen.
Als ihre Schritte im Korridor widerhallten, bereitete sie sich
innerlich auf ihre letzte Begegnung mit Richard Kraven vor.
2. Kapitel
    Weit weg von seiner Frau, im entgegengesetzten Teil des Landes, wachte Glen Jeffers auf, blieb noch fünf Minuten länger
im Bett liegen und überlegte sich, ob er diesmal auf sein morgendliches Joggen verzichten sollte. Es war einer jener Morgen
in Seattle, wie er sie haßte: bewölkt, mit Sprühregen, der
wahrscheinlich den restlichen Tag über anhalten würde. Es
regnete nicht stark genug, als daß es sich gelohnt hätte, einen
Regenschirm zu nehmen, aber doch stark genug, daß man sich
darüber ärgern konnte. Er ärgerte sich vor allem, weil er wußte,
daß er den ganzen Morgen unterwegs sein würde. Es ging
darum, das Gerüst für das erste Hochhaus zu inspizieren, das
die Bautrupps seiner Firma, Jeffers und Cline, Architekten,
ganz allein errichtet hatte.
    Es gab keine weiteren Partner, deren Namen auf dem großen
Schild vor dem Gebäude standen – keine anderen Architekten,
mit denen er sich die Anerkennung für den bedeutenden
Entwurf, den er geschaffen hatte, teilen mußte. Fünfundvierzig
Stockwerke würde sich das Gebäude in Terrassenform von der
Vierten Avenue zum Himmel erstrecken. Aber was ihm dabei
am besten gefiel, war der Park, den er für das Dach des
Wolkenkratzers entworfen hatte. Er sollte über die Hälfte des
Blocks einnehmen und eine eindrucksvolle
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