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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst
Autoren: George D Shuman
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ihres Helms vor. »Wir sind fast da.«
    Sherry nickte mit einem flauen Gefühl im Magen, während der Hubschrauber in die Schräglage ging und auf den höchsten Berg Nordamerikas zubrauste. Sherry saß nicht zum ersten Mal in einem Hubschrauber. Sie hatte einen guten Teil ihres Lebens damit zugebracht, von einem Ort zum anderen zu fliegen, sie kannte die Crew-Sitze der großen Bells und Hueys und Sikorskys, sogar die der luxuriösen VH-3Ds, die unter der Bezeichnung »Marine One« bekannt waren, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten an Bord war. Aber der Pave Hawk ließ sich mit keiner Maschine vergleichen, mit der sie je geflogen war. Der Unterschied war so krass, als würde man einmal auf einem Floh reiten und einmal auf einer Hummel.
    »Sieht man ihn klar? Den Gipfel?«, fragte sie.
    »Blauer Himmel. Man kann sich kaum sattsehen«, antwortete Metcalf gedankenverloren. Sie spürte, dass er sie in diesem Augenblick ansah und dass es ihm leid tat, so gedankenlos vom Sehen gesprochen zu haben.
    Die Bilder, die sie selbst von den Bergen im Kopf hatte, stammten aus Büchern, die sie auf CD gehört hatte und in denen von grellem weißen Schnee und schwarzen Granitwänden die Rede war, von eisblauen Gletschern und tiefen Schluchten.
    »Ich kann's mir vorstellen«, sagte sie leise.
    Die Alasker verwendeten für den Berg den indianischen Namen Denali, was so viel wie »der Große« hieß, wenngleich er auf den Karten immer noch als Mount McKinley verzeichnet war. Mit seinen knapp 6200 Metern war er an klaren Tagen noch von dem 200 Kilometer entfernten Anchorage aus zu sehen.
    Es waren heute keine Bergsteiger auf dem Gipfel des Denali. Man sah keine bunte Kette aus Schneeanzügen, die sich über den Denali-Pass schob, oder über den tückischen Bergkamm oder die berüchtigte Windy Corner.
    Alle Bergsteiger, von denen man wusste, dass sie das Unwetter überlebt hatten, waren in der Nähe des »Medical Camp« gefunden worden, das auf 4300 Meter Höhe lag. Von dort konnten sie mit den Chinooks der National Guard geborgen werden.
    Oberhalb dieses Lagers waren die Bedingungen einfach unbeschreiblich. Ein Ranger aus der Gegend sprach gegenüber Journalisten von einer einzigen Eiswüste voller verborgener Risse und Spalten, die breit genug seien, um ganze Rettungsteams oder Hubschrauber zu verschlucken.
    Das Unwetter war die Folge eines Tiefdrucksystems gewesen, das sich vergangenen Sonntag über den Berg geschoben hatte und dort einen Polarsturm auslöste. Das Tief, das fünf Tage über dem Denali lag, brachte fast vier Meter Neuschnee samt Windböen von weit über 150 Stundenkilometern. Der Sturm hatte das obere Drittel des Berges völlig umgestaltet.
    Heute war Freitag, und es wurden immer noch zwölf Bergsteiger über dem Medical Camp vermisst. Ein vierköpfiges Kletterteam hatte am Morgen des Sturms den Gipfel erreicht und wurde auf dem Abstieg zum Hochlager vom Unwetter erfasst. Der letzte Funkspruch, bevor die Kommunikationssysteme ausfielen, kam vom Denali-Pass, etwa 250 Meter über dem Hochlager. Sie hatten gute Chancen gehabt, es zu schaffen, doch fünf Tage später waren sie noch immer nicht gefunden worden, und man konnte unmöglich sagen, wo sie sich schließlich eingegraben hatten, um den Sturm zu überstehen. Es war außerdem unwahrscheinlich, dass ihre Vorräte so lange ausreichten.
    Andere Teams, eines aus Thailand und eines aus British Columbia, näherten sich gerade dem Gipfel, als der Sturm plötzlich hereinbrach. Ihre letzten Meldungen ließen vermuten, dass sie kaum mehr als hundert Meter von ihrem Ziel entfernt waren, als sie umkehrten.
    Der Wirbelsturm war nicht vorhergesagt worden, aber das war ganz typisch für den Denali. Allein durch seine Größe waren überraschende Wetterwechsel immer möglich. Auch nach dem schönsten Morgen konnte am Nachmittag ein Sturm hereinbrechen, der für die Bergsteiger die reinste Hölle war.
    Als die Meteorologen erkannt hatten, was sich über dem Berg zusammenbraute, gaben sie natürlich sofort eine Sturmwarnung aus, doch jene Bergsteiger, die sich bereits im oberen Drittel befanden, brauchten Tage für den Abstieg, und das auch nur unter optimalen Bedingungen. Jeder, der sich vergangenen Freitag oberhalb von 4000 Metern befand, saß unweigerlich auf dem Berg fest.
    In den Fernsehberichten, die Sherry in dem Privatjet verfolgte, der sie nach Alaska brachte, erfuhr sie, dass es für die Kletterer oberhalb von 5000 Metern kaum noch Hoffnung gab. Die Teams, die schon
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