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Bleib ungezaehmt mein Herz

Titel: Bleib ungezaehmt mein Herz
Autoren: Jane Feather
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Arbeitszimmers.
    Marcus' Zweispänner wurde gerade aus dem Stall geführt, als Judith den kopfsteingepflasterten Hof überquerte. Sie zog sich ihre Kapuze über den Kopf und folgte dem Zweispänner auf die Straße hinaus, wo sie eine vorbeifahrende Mietkutsche anhielt. »Warten Sie an der Ecke, und dann folgen Sie dem Zweispänner dort, sobald der Fahrer die Zügel ergreift«, befahl sie dem Kutscher und drückte ihm eine Münze in die Hand. Er erwies Judith seine Reverenz.
    »Der Kerl soll nicht merken, daß er verfolgt wird, Lady?«
    »Nicht, wenn Sie es verhindern können«, bekräftigte sie und stieg in die Droschke ein. Sie spähte um die Halteschlaufe aus Leder herum, die am Fenster befestigt war, und beobachtete, wie Marcus das Haus verließ und sich auf den Zweispänner schwang. Leise rief sie dem Kutscher zu: »Sie können sich zwei Guineas zusätzlich verdienen, wenn Sie ihn nicht verlieren und wenn er nicht merkt, daß wir hinter ihm her sind.«
    »Alles klar!« Der Kutscher knallte mit der Peitsche, und das Gefährt rumpelte vorwärts. Judith lehnte sich in den Sitz zurück, wegen der muffigen Luft nur flach atmend. Der letzte Fahrgast mußte rohe Zwiebeln gegessen und einen besonders scheußlichen Tabak gequalmt haben.
    Marcus schaute kein einziges Mal zurück. Er fuhr schnell durch die Innenstadt und nahm dann die nördliche Route Richtung Hampstead Heath. Es war eine Fahrt, die er schon einmal mit derselben Hast unternommen hatte, von derselben verzweifelten Wut getrieben. Wieviel Zeit hatte Gracemere inzwischen mit dem Mädchen gehabt? Höchstens vier Stunden. War Agnes Barret bei ihm? Anzunehmen, daß sie ihm das Mädchen gebracht hatte... ob sie es auch für ihn festhalten würde? Abstoßende, Übelkeit erregende Bilder flimmerten vor seinem inneren Auge.
    Die Postkutsche aus Reading holperte aus der entgegengesetzten Richtung auf ihn zu, der Postillon blies warnend in sein Horn. Er hielt sich krampfhaft am Kutschbock fest und schloß entsetzt die Augen, als der Zweispänner mit unverminderter Geschwindigkeit weiterraste. Die beiden Kutschen schrammten mit kaum einem Zentimeter Zwischenraum aneinander vorbei.
    »Gnädiger Himmel!« schrie der Fahrer der Mietdroschke seinem Fahrgast zu. »Fährt ja wie der Teufel, der Kerl. Hat noch nicht mal den Lack angekratzt, darauf wette ich. Scheint's mächtig eilig zu haben, Ihr Gentleman.«
    Judith hielt sich am Ledergriff fest, als die Mietkutsche schwankend die unebene Straße entlangrumpelte, bemüht, mit dem Zweispänner Schritt zu halten. Etwas verspätet kam ihr in den Sinn, daß sie keine Ahnung hatte, wo Marcus hinfuhr. Er konnte sonstwohin wollen - nach Reading oder sogar nach Oxford. Irgendwohin, weit außerhalb der Reichweite einer gewöhnlichen Londoner Mietkutsche. Aber woher wußte er, wo Gracemere steckte?
    Die Straße schlängelte sich jetzt durch die Heide, und Judith lehnte sich aus dem Fenster. »Können Sie ihn noch sehen?«
    »Jawohl, er ist gerade an der Kreuzung abgebogen. Schätze, er will zum Green Man«, rief der Kutscher zurück. »Ist der einzige Ort dort in der Nähe. Die Leute finden keinen besonderen Geschmack daran, zu nahe am Galgen zu leben.«
    »Nein, das kann ich mir gut vorstellen.« Judith zog sich wieder in das muffige Innere der Kutsche zurück und wandte ihren Blick von dem verwesenden Leichnam ab, der an dem Galgen baumelte, als die Kutsche an der Kreuzung links abbog.
    Marcus fuhr in den Hof eines düsteren, schäbigen Gasthauses ein, über dessen Tür ein Schild im Wind hin und her schwang - »Green Man«. Er sprang vom Kutschbock, warf die Zügel einem mageren Burschen zu, der an der Mauer lehnte und sich in der Nase bohrte, und marschierte in das schindelgedeckte Gebäude, seinen Kopf unter dem tiefhängenden Dach einziehend. Seine Reitpeitsche hielt er locker in der Hand.
    Stimmen kamen aus dem Schankraum links vom Gang; aus der Küche im hinteren Teil des Hauses wehte der Duft von gekochten grünen Bohnen und vermischte sich mit dem säuerlichen Geruch von abgestandenem Bier. Der Gastwirt kam geschäftig herbeigeeilt, seine Hände an einer schmierigen Schürze abwischend. Als er seinen Besucher sah, weiteten sich seine Augen plötzlich bei der Erinnerung an ein Ereignis, das viele Jahre zurücklag.
    »Ah, Winkler, immer noch im Geschäft, wie ich sehe«, stellte der Marquis in liebenswürdigem Ton fest, der gar nicht zu seinem Gesichtsausdruck zu passen schien. »Wundert mich, daß die Ordnungshüter Sie noch
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