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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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Zeugnisse sind hervorragend. Er wird sie mit Kalz zusammenspannen, von dem kann sie allerhand lernen und wer weiß, vielleicht gelingt es der zierlichen Frau mit ihrem Charme ja, dessen Eispanzer zu knacken. Ja Kreuzdonnerwetter, wo ist denn nur der Notizzettel mit ihrem Namen oder wenigstens ihre verflixte Zeugnismappe?!
    Es ist entweder dieser winzige innere Temperamentsausbruch oder der schrille Ton des Telefonapparats gewesen, der den Oberkörper von Mattusch auf eine Weise bewegt, die den richtigen Winkel zwischen Papier, Mann und Ventilator zusammenbrechen lässt. Innerhalb von wenigen Sekunden verteilen sich unzählige Blätter auf dem dunkelblauen, extra strapazierfähigen Teppichboden, als hätte man eine Schneekanone darauf abgefeuert, und es ist genau dieser Anblick, der die ansonsten ruhige und freundliche Stimme des Dezernatsleiters ein überaus ruppiges »Mattusch« in den Hörer bellen lässt. Als er auflegt, fällt sein Blick auf einen gelben Notizzettel, den der Luftzug gegen den Monitor seines Computers presst, darauf steht   Zoe Kandeloros   und darunter eine Handynummer.
     
    *
     
    Kostas Kandeloros war einer der vielen Griechen, die dem Lockruf des Wirtschaftswunders gefolgt waren. Seine Eltern hatten ihm bittere Vorwürfe gemacht, als er ihnen damals eröffnete, er würde genau wie sein Onkel, seine Tante und seine beiden Cousins nach Deutschland gehen. Seine Mutter hatte angefangen zu weinen, der Vater hatte ihn mit vorwurfsvollem Ton in der zitternden Stimme immer wieder gefragt, ob der Beruf des Fischers etwas sei, wofür man sich schämen müsse, ob er sich zu fein sei zum Netzeflicken, zum Plankenabdichten. Er hatte ihn vor die Tür der Hütte geführt und auf die blassgrüne Hügelkette gedeutet, auf die Pinien, den weißen kleinen Strand, auf dem ein paar Holzboote lagen und in der untergehenden Sonne aussahen wie dösende Walrosse. Sie tranken viel in dieser Nacht, die Nachbarn kamen vorbei, Lieder wurden gesungen, vor allem die Lieder der Insel, ihrer Heimat, Milos. Irgendwann ging die Sonne wieder auf und färbte das Meer erst zartrosa, dann orange, dann tiefblau, und es war dieses tiefe Blau, das Kostas Kandeloros ganz fest in seine Seele einschloss, als er mit der ersten Fähre die Insel seiner Kindheit für immer verließ.
    Zoe war schon viele Male auf Milos, würde es aber niemals als ihre Heimat bezeichnen. Sie ist in Nürnberg geboren, genau wie ihr Vater und ihre Mutter. Sie ist eine sogenannte Griechin der dritten Generation, wobei ihr Griechisch, sehr zum Leidwesen ihrer Eltern und vor allem ihrer Großeltern, mehr als zu wünschen übrig lässt. Aber wo sollte sie es auch anwenden? Etwa im Restaurant ihrer Eltern, in dem sie schon als Kind und dann später während der Semesterferien mitgeholfen hat? Oder in den Psychologievorlesungen an der Uni? –   beschreiben Sie die Parallelen und Differenzen in den Theorien von Freud und Fromm zur Genese des Ödipuskomplexes auf Neugriechisch?   Auch als sie dann nach sieben Semestern entschied, der Psychologie den Rücken zu kehren, um auf die Polizeiakademie zu gehen, gab es keine Gelegenheit, ihr Griechisch zu pflegen – warum auch, sie ist Deutsche, eine deutsche Beamtin im gehobenen Polizeidienst, daran ändert weder ihr Name noch ihr Äußeres etwas. Und dass sie sich vor zwei Jahren eine Brille gekauft hat, mit der sie nun endgültig aussieht wie die junge Nana Mouskouri, täuscht nicht einmal mehr ihren Opa Kostas über diese unumstößliche Tatsache hinweg.
    Als sie der Anruf von Mattusch erreicht, ist sie gerade dabei, ihren Schreibtisch einzuräumen – viel hat sie nicht dabei, aber auf einiges mag sie doch nicht verzichten. Vor allem nicht auf ein kleines, gerahmtes Foto – es zeigt zwei Seegrasstühle auf einer weißgekalkten Veranda vor einem strahlend blauen ägäischen Meer.
    »Sie fahren jetzt erst einmal allein«, hatte der Dienststellenleiter gesagt und ergänzt, dass die Spurensicherung schon unterwegs sei und sie zunächst die wenigen Zeugen vernehmen solle, reine Routinearbeit, eine gute Übung für den Einstieg. Als Zoe Kandeloros zwanzig Minuten später den Tatort erreicht und die gewaltige Blutlache hinter der Absperrung sieht, die Menschentraube davor und die beiden halbnackten Männer, einer von ihnen mit einem Gesichtsausdruck wie in Trance, hallen ihr die Worte von Mattusch noch immer im Kopf, aber jetzt klingen sie wie Hohn und treiben ihr den Schweiß auf die Haut, trotzdem geht sie tapfer zu den
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