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Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Titel: Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)
Autoren: Meinhard von Gerkan
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sich die Massenware Architektur nach dem gleichen Prinzip.
    Das Gegenteil der Banalarchitektur ist Signalarchitektur. Das inzwischen berühmte neue Sendezentrum des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking stellt   –   bei allem Respekt vor den Architekten   –   in seiner Gespreiztheit und zweifelhaften Symbolik dem baukünstlerischen Exhibitionismus ein trauriges Zeugnis aus. Chinesische Kritiker wollen in dem spektakulären Ungeheuer männliche und weibliche Geschlechtsorgane entdeckt haben, die taz lästerte über »Chinas große Unterhose«. Zugleich ist das auf eine Milliarde US-Dollar Baukosten geschätzte Objekt das perfekte Spiegelbild unserer Weltfinanzkrise. Es dokumentiert die Obsession von Hunderten von Milliarden, die um den Globus kreisen. Häufig treten Banal- und Signalarchitektur gemeinsam auf. In Shanghai zum Beispiel sind die meisten Hochhäuser aufgedonnerte Primadonnen, die mit Schminkkasten und Puderquaste wild in ihrer Visage herumgefuhrwerkt haben. Die Angeberattitüde dominiert die Formensprache der heutigen Architektur. Sie ist eine schwere Selbstanklage der Architekten.
    CCTV, Sendezentrum des chinesischen Staatsfernsehens in Peking, China, Architekten OMA
    Imponiergebäude stehen als Solitäre im Zentrum der Städte. Architektonisch passen sie nicht in die urbane Umgebung. Und wohl auch verkehrstechnisch nicht. Angeblich wollte der chinesische Staatssender bereits zwei Straßen auf dem CCTV-Gelände schließen lassen. Das vordringliche Ziel der Signalarchitekten ist es, Wahrzeichen zu setzen. An der Peripherie scheint das unmöglich. Die Flughafenarchitektur   –   Flughäfen liegen aus guten Gründen außerhalb der Städte   –   genießt daher bei ihnen kein großes Ansehen. Also versuchen sie, die Peripherie zum Zentrum zu machen, die Flughäfen zu urbanisieren.
    Durch die Medien geistert seit einiger Zeit die Vision von Aerotropolen, Flughafenstädten. Siedelten sich einst unsere Vorfahren an Märkten, Häfen oder Furten an, soll nunmehr der Flughafen zum Mittelpunkt eines Siedlungsgebiets mit einem Radius von 30   Kilometern werden. Über dieses Gebiet, so die Überlegung, wird ein Netzwerk aus Start- undLandebahnen, Schnellstraßen, ICE-, U- und S-Bahn-Trassen gespannt, ein physikalisches Internet gewissermaßen mit dem Airport als Router. Aus der Vogelperspektive haben wir es mit einem Spinnennetz und einer gefräßigen gigantischen Spinne mittendrin zu tun. Schaut man sich die Simulation dieses urbanen Phantasmas auf YouTube an, wird sofort klar, dass die Aerotropolen nicht für Menschen, sondern für den schnellen Transport von Menschen (und Gütern) gebaut werden. Kaum zufällig ist dem Film als Motto ein Zitat des in der Architekturtheorie-Debatte umstrittenen Architekten Le Corbusier alias Charles Jeanneret vorangestellt: »A City Made for Speed is Made for Success.«
    Das Projekt »Urbanisierung der Flughäfen« entspringt dem Versuch, »Nicht-Orte« in Orte zu verwandeln. Unter Nicht-Orten versteht der französische Anthropologe und Ethnologe Marc Augé für bestimmte Zwecke konzipierte identitäts-, gesichts- und geschichtslose Räume des Transits (Verkehr, Handel, Freizeit), in denen Menschen sich nur vorübergehend bewegen, die aber ansonsten von Zeichen oder kodifizierten Ideogrammen »bewohnt« sind, etwa in Einkaufszentren von Hinweis-, Verbots- und Preisschildern, in Flughäfen von Wegeleitsystemen, Ankunfts- und Abflugtafeln, an Schnellstraßen und Autobahnkreuzen von Verkehrszeichen, Werbeplakaten oder amtlichen Hinweisen (»Hier baut die Bundesrepublik Deutschland«). Flughäfen sind Räume des Transits schlechthin, des Transits von der Erde zur Luft, von der Luft zur Erde, von New York nachTokio und zurück. Die Flughafengebäude und -anlagen sind darüber hinaus selbst transitorisch, einem dauernden Prozess der Veränderung unterworfen. Technische Neuerungen, gesetzliche Vorschriften, Nachfrageschwankungen und so weiter erfordern maximale Flexibilität. Flughafenarchitektur muss die Zukunft des Fliegens vorwegnehmen. Jedem Flughafenarchitekten stellt sich das Problem, diesem sich ständig verändernden Nicht-Ort ein Gesicht, eine Geschichte und eine Identität zu geben. Dies allerdings gelingt zweifellos nicht durch die Anhäufung anderer Nicht-Orte (Einkaufszentren, Designer-Outlets, Konferenzzentren   etc.) an einem Ort. Aerotropolen sind Missgeburten der Investorenarchitektur. Statt in delirierenden Profitfantasien zu schwelgen und kalte,
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