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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln
Autoren: Sujata
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Kamelienblüten ragten. Dann ging sie weiter, ohne ein Wort über die Blumen zu verlieren. Ich begriff nicht so ganz, warum meine Tante und Eriko sich überhaupt die Mühe machten, den Kurs zu besuchen, obwohl Sakura natürlich nicht immer den Unterricht übernahm. In der vorangegangenen Woche hatte Mrs. Koda einen interessanten Vortrag über hängende Arrangements gehalten, und ihre Bemerkungen zu unseren Arbeiten waren ausgesprochen hilfreich gewesen.
    Jetzt war ich an der Reihe.
    »Sie sind Norie Shimuras Nichte aus Kalifornien? Sie sehen sich ähnlich.« Sakura musterte meine Kleidung und dann die Kirschzweige, die ich arrangiert hatte. Ob sie ahnte, daß ich die letzten genommen hatte?
    »Darf ich Ihr Gesteck berühren?« Ohne meine Antwort abzuwarten, ordnete Sakura jene Zweige neu, die die Halterung für die anderen bildeten. Alles fiel auseinander, aber das interessierte sie nicht. »Der Teil der Zweige, der sich unter Wasser befindet, hat immer noch ein paar Blätter.« Sie tippte gegen die winzigen Kirschblütenknospen, die ich nicht entfernt hatte.
    »Ich wollte nichts abschneiden, das später vielleicht noch aufblüht«, erklärte ich.
    Plötzlich herrschte so eisiges Schweigen in dem Raum, daß ich mich fragte, ob ich versehentlich ein unhöfliches Wort verwendet hatte. Dann wurde mir bewußt, was ich falsch gemacht hatte: Ich war die erste, die auch nur den Versuch gewagt hatte, einen Fehler zu entschuldigen.
    »Wenn Sie weiter Blumen arrangieren, werden Sie feststellen, daß mit Pflanzenteilen verunreinigtes Wasser bald von Bakterien wimmelt und die Lebensdauer Ihres Gestecks verringert.« Sakura nahm Maris Schere und begann, die Knospen zu entfernen. »Die Linien dieses Arrangements stimmen nicht. Ist das nicht Lektion acht, Grundlagen des Anschrägens?«
    »Nein, Lektion drei, Grundlagen des aufrechten Stils«, sagte ich.
    »Wie sehr sich Ihr Zweig neigt! Das sind mehr als fünfzehn Grad.«
    Sie zog meine Zweige heraus und ordnete sie nach ihrem Geschmack neu. »Es wundert mich, daß Anfänger an diesem Fortgeschrittenenkurs teilnehmen. Normalerweise muß man das Anfängerbuch abgeschlossen haben, um für diesen Kurs zugelassen zu werden. Vermutlich machen Beziehungen solche Dinge möglich, neh?«
    Ohne sich zu verneigen, wandte Sakura sich der nächsten Schülerin zu. Sie hatte mich fertiggemacht, aber ich wußte, daß sie im Recht war. Ich war nur in den Kurs aufgenommen worden, weil Tante Norie Mrs. Koda darum gebeten hatte.
    Doch meine Tante wollte es nicht dabei bewenden lassen. In freundlichem, aber bestimmtem Tonfall rief sie der Lehrerin nach: »Sakura- sensei , gibt es ein Problem?«
    Ohne sich umzuwenden, sagte Sakura: »Ich fürchte, ich muß mich mit dem nächsten Arrangement beschäftigen. Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie doch bitte nach dem Kurs zu mir.«
    »Die Lehrer der Schule haben sich seit der Zeit, als ich hier anfing, sehr verändert. Ich muß mich bei allen Anwesenden für Ihr Verhalten entschuldigen«, sagte Norie laut und vernehmlich. Mit ihrer gespielten Höflichkeit versuchte sie, Sakura zu provozieren, das wußten alle. Die anderen Frauen im Kurs senkten den Blick.
    Nach einer Weile beschloß Sakura, den herausfordernden Blick meiner Tante zu erwidern. Sakura war etwa fünfzehn Zentimeter größer als diese, und ihre Stimme klang kühl und autoritär, ja sogar ein wenig bedrohlich. »Norie-san, Sie wissen, daß das Motto der Schule ›Wahrheit‹ lautet.«
    »›Wahrheit in der Natur‹!« fiel Norie ihr ins Wort. »Pflanzen sollten im Mittelpunkt dieses Kurses stehen, nicht persönliche Fragen.«
    Da begannen plötzlich alle Frauen gleichzeitig zu reden, als wollten sie den Verstoß gegen die Etikette kaschieren, der sich soeben ereignet hatte. Erst der laute Knall eines Holzstockes ließ sie verstummen.
    »Ruhe bitte!« Die alte Mrs. Koda legte den Stock wieder beiseite und hob zitternd die Stimme: »Es ist Zeit für die Teepause, Zeit, in Ruhe einen Tee zu trinken!«

2
    »Ich gehe da nicht mehr hin. Das war wie im Wilden Westen, bloß daß keine Cowboys mit Schießeisen, sondern Damen mit Seidenblusen und scharfen Scheren in dem Kurs waren«, erklärte ich Richard Randall später an jenem Abend im Mister Donut an der Sendagi Station. Während ich von meinen schrecklichen Erlebnissen in der Kayama-Schule erzählte, hatte ich aus meiner Papierserviette ein Origami-Kunstwerk gefaltet. Ich war immer noch ganz außer mir.
    »Du beschreibst deine Tante, als hätte sie
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