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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln
Autoren: Sujata
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schmalen Tonvase, die ich von dem Regal genommen hatte, kippten sie immer wieder, statt anmutig und gerade stehenzubleiben wie die von Tante Norie und Eriko. War ich denn die einzige, die es nicht konnte? Ich sah zum Nachbartisch hinüber.
    Lila Braithwaite, eine großgewachsene Kanadierin, die der Vereinigung ausländischer Studenten vorstand, hatte ihre Kirschzweige ausgesprochen professionell zusammen mit Azaleen arrangiert. Ihre Freundin Nadine St. Giles, eine Französin, hatte die gleichen Materialien gewählt, verwendete sie aber nicht so geschickt wie Lila. Am schönsten fand ich das Werk von Mari Kumamori. Mari arbeitete mit Heidekraut. Die blaßvioletten Blüten kontrastierten auf raffinierte Weise mit der Seladon-Schale.
    »Maris Schale gefällt mir. Gibt es noch mehr solche?« fragte ich Norie.
    »Die Schale gehört nicht der Schule. Mari töpfert selbst. Wahrscheinlich hat sie sie von zu Hause mitgebracht. Außerdem ist dein Gefäß für dein Arrangement genau das richtige. Wenn du sie anschrägst, bleiben deine Zweige gerade stehen.«
    Bei diesem Anschrägen, das hatte ich die Woche zuvor gelernt, brachte man zuerst einen Schnitt an einem der Zweige an und führte dann einen anderen, kürzeren Zweig in diesen Schnitt ein. Das erforderte so viel Präzision, daß ich mich schon bald hilfesuchend an meine Tante wandte. Schließlich hatte sie dreißig Jahre zuvor ein Lehrerdiplom der Kayama-Schule erworben und besuchte diesen Kurs hauptsächlich, um mit ihren Freundinnen zusammenzusein.
    »Bei mir sieht’s einfach nicht wie auf der Abbildung im Buch aus. Und die Anweisungen verstehe ich auch nicht.« Als Anfängerin mußte ich meine Arrangements nach den Vorlagen im Lehrbuch der Kayama-Schule gestalten. Für jedes, das glückte, verdiente ich mir einen Stempel. Erst dann durfte ich mich dem nächsten zuwenden. Ich begriff die Diagramme, aber nur sehr wenig vom Begleittext.
    »Ach, ich wußte gar nicht, daß du nicht Japanisch lesen kannst!« rief Eriko betrübt. »Ich sehe mal nach, ob ich ein Kursbuch in englischer Übersetzung finde. Lila-san und Nadine-san haben auch eines.«
    »Rei -chan, du mußt das Gesteck selbst fertigen«, rügte meine Tante mich. »Wenn ich die Zweige für dich ordne, bekommst du niemals das nötige Selbstvertrauen. Es ist nicht schlimm, Fehler zu machen. Sehr bald, wenn du dich eigenen Arrangements zuwenden darfst, mußt du dich ohnehin von deiner Intuition leiten lassen.«
    Ich kam nur langsam voran, da mich meine Tante immer wieder ablenkte. Irgendwann ergriff dann Mrs. Koda, die Leiterin des Kursprogrammes, das Wort.
    »Sakura Sato hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns heute die Herausforderungen und Freuden der Arbeit mit einem einzigen Material zu demonstrieren. Ich werde hinterher eine englische Übersetzung für unsere Gäste geben.« Mrs. Koda sprach ziemlich laut Englisch, als hätten die Ausländer im Kurs nicht nur Probleme mit dem Japanischen, sondern obendrein noch einen Hörschaden. Wahrscheinlich war ihre Wortwahl nicht böse gemeint, aber sie hatte Lila und Nadine als »Gäste« bezeichnet, nicht als richtige Schüler der Schule. Jetzt begriff ich, warum Tante Norie darauf bestanden hatte, daß ich meinen Platz bei ihr und Eriko hatte. Sie wollte mich davor bewahren, im gaijin- Getto, der Ecke mit den Ausländern, zu landen.
    Ich beendete mein Arrangement hastig mit ein paar Astern. Meine Tante lächelte Mrs. Koda an – sie kannte sie seit mehr als dreißig Jahren, seit ihren Anfängen als Ikebana-Schülerin. Ich hatte Fotos von Mrs. Koda aus jener Zeit gesehen und fand es amüsant, daß sie ihre Haare noch immer hochgesteckt wie in ihrer Jugend trug. Doch ihr Gesicht wirkte mittlerweile abgehärmt und müde. Als sie mir eine Woche zuvor die Schule gezeigt hatte, war sie langsam gegangen und hatte sich auf einen Stock gestützt. Sie hatte sich entschuldigt, daß Masanobu Kayama, der Leiter der Schule, sich gerade in Luxemburg aufhielt, mir aber versprochen, daß ich schon bald Gelegenheit haben würde, ihn persönlich kennenzulernen.
    Mrs. Koda verneigte sich tief vor Sakura Sato, einer Frau ungefähr in Tante Nories Alter, die ein zart rosafarbenes Kostüm trug. Als Sakura forschen Schrittes an das Pult trat und mit Schwung ihr Notizheft darauf ablegte, brachte sie mit dem Ellbogen Mrs. Koda aus dem Gleichgewicht, die gegen die Kante eines Schülertisches stolperte. Die Damen murmelten besorgt, und Tante Norie nahm Mrs. Koda am Arm. Da es keine
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