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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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sein!»
    «Liebe mache ich nur mit dir.»
    «Du bist gut. Dann ist das Kind also von mir.»
    «Ich glaube schon.»
    «So, du glaubst? Und warum bist du dann nicht sicher?»
    «Weil ich zu Hause meine Pflicht erfülle. Das hat mit Liebe nichts zu tun.»
    «Vittoria, das ist dein erstes Kind. In deinem Alter fast ein Wunder. Und es wird auch dein letztes sein. Wie stellst du dir vor, es großzuziehen, ohne zu wissen, wer sein Vater ist?»
    «Die Zeit wird uns die Antwort geben, Alberto. Du wirst ihm nah sein. Dafür werde ich sorgen, das verspreche ich dir. Für mich wird es ein Kind unserer Liebe sein.»
    «Es wird das Kind des Mannes, der es aufzieht.»
    «Nein. Ich werde es dazu erziehen, seinen Vater zu achten, das Vermögen der Familie. Aber in erster Linie wird es mein Kind sein. Meins, verstehst du?»

36

Alba,
Dienstag, 27. April 2011, 9 Uhr
    Vor Tibaldis Schreibtisch standen keine Stühle. Sylvie ließ sich einen bringen. Der Rücken tat ihr immer noch weh. Als sie sich anlehnte, durchfuhr sie ein Schauder der Erregung.
    «Sicher haben Sie mir eine Menge zu erzählen.»
    «Milliardäre sind wirklich eigenwillige Menschen, Dottor Tibaldi. Noch nie habe ich jemanden kennengelernt, der so gut dafür bezahlt, dass man ihm erzählt, was er ohnehin schon weiß.»
    «Und das wäre?»
    «Moresco wurde erpresst. Von einem alten Kampfgefährten bei den Partisanen. Und von einem Faschisten. Nicht dass er Angst vor ihnen gehabt hätte. Er bezahlte sie, ein bisschen um sie bei Laune zu halten, ein bisschen um das eigene Gewissen zu beruhigen. Aber in letzter Zeit hatte er sich eine seltsame Idee in den Kopf gesetzt …»
    «Und zwar?»
    «Ich glaube, er wollte das Geld zurückgeben, das er vor langer Zeit bekommen und mit dem er sein Glück gemacht hat. Aber das ist eine Geschichte, die Sie nur allzu gut kennen.»
    Tibaldi lachte nervös.
    «Das ist doch … Zurückgeben, an wen denn?»
    «An das Volk, sagte er. An die Partei.»
    «Welche Partei?»
    «Das wusste er wohl selbst nicht so genau. Seine Partei existiert seit zwanzig Jahren nicht mehr. Aber die alten Parteiführer, die den Namen der Partei mehrmals geändert haben, sind immer noch da. Mächtige Männer, die für Geld immer Verwendung haben. Die Parteien zählen immer weniger, die alten Männer hingegen immer mehr. Sie bauen eigene Strukturen auf und nennen sie Stiftungen. Sie machen Geschäfte. Sie eröffnen Kliniken und überschreiben sie an Ehefrauen oder Freundinnen. Steigen bei Banken ein. Sie kaufen und verkaufen. Fahren auf Yachten. Und alle essen und trinken gern gut. Sie kommen gern hierher in die Provinz. Und die Provinzler sind ihnen gern zu Diensten.»
    «Aber damit wollen Sie doch nicht etwa sagen, dass das ein politisches Vergehen ist …»
    «Das habe ich nicht gesagt. Ich sage nur, dass Moresco ein schlechtes Gewissen hatte und nach einer Möglichkeit suchte, sein Gewissen zu erleichtern. Er wolltenicht, dass sein Sohn mit dem Geld auch die Schuld erbt. Ich glaube, er hat dieses Geld, seinen Anteil des Schatzes, immer als ein Darlehen aufgefasst.»
    «Ein Darlehen?»
    «Ja, ein Vermögen, das man investieren muss, im Namen und im Interesse aller. Nur ein Mann mit seiner Geschichte konnte so denken. Heute ist diese Geschichte zu Ende, und dieses Geld ist nichts als Geld. Moresco hatte zwar jede Menge Geld zum Ausgeben, aber auch jede Menge Rechnungen zu begleichen. Irgendwann kommt der Augenblick, in dem die Gläubiger ihr Geld zurückverlangen, alle Rechnungen werden gleichzeitig fällig, und dann reicht das vorhandene Geld plötzlich nicht mehr aus.»
    Tibaldi sah aus, wie vom Blitz getroffen.
    «Danke, Signorina. Sie haben keine Zeit verschwendet. Sie sind gleich zur Sache gekommen, und das weiß ich zu schätzen. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihrerseits Grund haben, meine Anerkennung ebenfalls zu schätzen.»
    Sylvie war von Tibaldis Worten angetan, aber auch ein bisschen enttäuscht von dem schroffen Ton, mit dem sie abgefertigt wurde.
    «Und, Dottore, was werden Sie jetzt tun?»
    «Was ich jetzt tue? Etwas, was ich seit einiger Zeit immer häufiger tue. Ich rufe meine Töchter an, um zu hören, was sie gerade machen. Was sie in Zukunftvorhaben. Und was sie von ihrem alten Vater denken.»

37

Alba,
Samstag, 21. April 1945, 23 Uhr
    «Blonder, hör auf mich! Das scheint mir keine gute Idee.»
    «Morgen früh gehe ich los. Und nenn mich nicht Blonder.»
    «Alberto, der Krieg ist aus. Was willst du da noch in Madonna di Como
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