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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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gekämpft haben?»
    «Das habe ich nicht gesagt. Wenn ich Sie für schuldig hielte, würde ich Sie festnehmen.» «Sie nehmen mich also nicht fest?»
    «Nein. Ich muss Sie allerdings bitten, mir Ihren Pass auszuhändigen und sich zur Verfügung zu halten.»
    «Mein Pass ist abgelaufen. In meinem Alter, wo soll ich denn noch hin, was glauben Sie? Ich habe niemanden am anderen Ende der Welt, den ich besuchen könnte. Und ich bin auch kein Millionär wieMoresco. Oder wie», und hier machte er eine kleine Pause, «Tibaldi.»
    «Was hat denn Tibaldi damit zu tun?»
    «Nichts, Gott bewahre. Er ist nur der zweite Milliardär in der Stadt, nicht wahr?»
    Der Inspektor ging zur Tür. Dann kam er noch einmal zurück, ohne Alberto Zeit zu lassen, sich zu fragen, ob er das absichtlich getan hatte.
    «Noch eine letzte Frage. Haben Sie das hier schon mal gesehen?»
    Als er das deutsche Offiziersabzeichen sah, hustete Alberto.
    «Ja, sicher habe ich das schon mal gesehen. Aber ich verstehe nicht, wie das in Ihre Hände kommt.»
    «Ich dachte, Sie hätten eine Erklärung dafür.»
    «Die hätte ich auch gerne. Aber nicht jetzt. Nehmen Sie mich fest, wenn Sie meinen. Sonst gehen Sie bitte.»

34

Frühling 1945
    Die letzten Kriegswochen sind grauenhaft. Immer mehr Partisanen haben es satt, sich in den Bergen zu verkriechen und ewig auf der Flucht zu sein, sie wollen kämpfen. Als bekannt wird, dass die Faschisten in Canelli sind, schwingen sich fünf Männer, das Maschinengewehr umgehängt, aufs Fahrrad und treten wie besessen in die Pedale.
    Aber die Faschisten wissen schon Bescheid – irgendeiner, der sie informiert, findet sich immer und überall – und lauern ihnen an der Straße auf, versteckt in einem Haus an der Piazza von Valdivilla. Als die fünf vorbeifahren, knallen sie sie einfach ab, leichte Beute. Im Maschinengewehrfeuer fällt Pinin, sechsundfünfzig Jahre alt, ein Veteran, Vater des Kommandanten Poli, der vergeblich versucht hatte, ihn aufzuhalten: «Wo willst du hin? Der Krieg ist aus.» Auch sein Freund Oscar fällt. Und es fällt Potenza, ein Flieger aus Lukanien, einer der vielen Süditaliener, die einfachhätten nach Hause gehen können, anstatt im Norden für andere Italiener zu kämpfen, die sie nie gesehen haben und die sie nie mehr kennenlernen würden.
    Andere Partisanen, die die Schüsse gehört haben, tauchen tröpfchenweise auf. Darunter auch Amilcare Braida: Johnny. Und Alberto. Doch von den Stellungen oben auf den Hügeln können sie nur tatenlos zusehen, wie die Faschisten unten ihr Werk vollenden. Settimo Borello, genannt Set, hier in Valdivilla geboren, ist am Fuß verletzt. Er sucht Deckung hinter einem Wagen voller Wein, der, von Kugeln durchsiebt, in Strömen ausläuft. Dario Scaglione, genannt Tarzan, noch keine neunzehn, nimmt ihn auf die Schultern und trägt ihn zu einem Gehöft. Die Faschisten folgen der Blutspur. Tarzan wird sofort erschossen. Er bittet darum, eine Nachricht für seine Familie schreiben zu dürfen. An der Wand, an der er später erschossen wird, schreibt er auf einen Zettel: «Geliebte Eltern, ich schicke Euch den letzten Gruß, bevor ich erschossen werde. Einen dicken Kuss für alle, für Papa, Mama, Marco, Adelina und meinen Neffen Franco. Ciao Dario.»
    Set wird mit gefesselten Händen fortgezerrt. Er humpelt. Am nächsten Tag wird er an der Friedhofsmauer von Canelli erschossen. Dabei steht er auf einem Bein wie ein Kranich.

35

Alba,
Sonntag, 1. Dezember 1963
    «Ich schwöre, dass ich es nicht weiß.»
    «Du weißt es nicht, das gibt es doch gar nicht. Bestimmte Dinge spürt eine Mutter doch.»
    «Was eine Mutter spürt, das kannst du ja wohl kaum wissen.»
    «Und er? Weiß er es schon?»
    «Nein. Ich will ihn überraschen, an einem der kommenden Abende. Das wird ein guter Vorwand für die nächsten neun Monate.»
    Die Diskussion zog sich stundenlang hin. Aber wenigstens diesmal hatten Vittoria und Alberto einen guten Grund zu streiten.
    «Du musst mir sagen, ob das Kind von mir ist.»
    «Alberto, ich weiß es nicht. Was soll ich dir sagen? Es wird sich herausstellen, wenn es geboren ist …»
    «Wie kannst du nur so zynisch sein?»
    «Beruhige dich. Wenn es ein Mädchen ist, nennen wir es Virginia.»
    «Und wenn es ein Junge ist?»
    «Roberto. Wie dein Vater.»
    Das schien Alberto kurz zu besänftigen. Doch dann fing er wieder an.
    «Zähl die Tage. Es kann doch nicht sein, dass du an ein und demselben Tag mit uns beiden Liebe gemacht hast. Das kann nicht
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