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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug
Autoren: Gudenkauf
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ernsthafte Maßnahmen.
    »Was wollen Sie tun?«, fragte Officer Stepanich, ein häufiger Besucher bei uns, erschöpft. Seine junge Partnerin, Officer Demelo, stand schweigend dabei und ließ ihren Blick über die Glasscherben, die umgeworfenen Stühle, die kahle Stelle auf meinem Kopf gleiten. Willkommen in unserem gemütlichen Zuhause, hatte ich sagen wollen, doch stattdessen brannten meine Wangen vor Scham.
    Ich war damals felsenfest davon überzeugt, dass meine Eltern sagen würden, genug ist genug, Travis möge bitte wegen des körperlichen Übergriffs verhaftet werden. Doch wieder einmal weigerten sie sich, Anzeige zu erstatten.
    »Was willst du tun?«, fragte Officer Demelo, und ich schaute auf, überrascht, dass sie zu mir und nur zu mir gesprochen hatte.
    »Na, na«, hatte Officer Stepanich sich eingeschaltet. »Das ist eine Entscheidung, die die Eltern zu treffen haben.«
    »Ich denke nicht, dass dieses Büschel Haare von allein auf dem Fußboden gelandet ist, und ich kann mir schwer vorstellen, dass Meg sie sich selbst ausgerissen hat.« Während Officer Demelo sprach, schaute sie mir unverwandt in die Augen. Ich war überrascht, dass sie sich an meinen Namen erinnerte. Noch beeindruckender fand ich nur, dass sie die offensichtliche Anweisung ihres erfahreneren Kollegen einfach ignorierte. »Hören wir uns doch also an, was sie nun tun will«, schloss Officer Demelo.
    Travis verzog den Mund zu einem gehässigen Grinsen. Er war gute fünfzehn Zentimeter größer und ungefähr vierzig Kilo schwerer als ich, aber in dem Moment, in dem ich wusste, dass nur ein ignoranter Feigling seine Familie so zusammenschlagen würde, wie er es getan hatte, fühlte ich mich stärker und mächtiger als er. Er glaubte, unbesiegbar zu sein. Aber in diesem winzigen Augenblick wusste ich, dass es für meine Familie einen Ausweg gab.
    »Ich will Anzeige erstatten«, sagte ich an Officer Demelo gewandt, die aussah, als wäre sie nicht viel älter als ich, aber dabei ein Selbstbewusstsein ausstrahlte, das ich auch gerne besessen hätte.
    »Bist du dir da sicher?«, fragte Officer Stepanich.
    »Ja«, sagte ich entschlossen. »Das bin ich.« Officer Stepanich wandte sich an meine Eltern, die verwirrt wirkten, aber dennoch zustimmend nickten. Travis wurde in Handschellen abgeführt. Ein paar Tage später kehrte er nach Hause zurück. Ich erwartete, dass er sich irgendwie an mir rächen würde, doch er hielt sich von mir fern und rührte mich nicht mit dem kleinen Finger an. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, sich gleich wieder in Schwierigkeiten zu bringen. Über die Jahre landete er immer wieder im Gefängnis, das letzte Mal wegen Drogenbesitzes. Die Verhaftung vor zwanzig Jahren hat Travis nicht verändert, aber in meinen Gedanken hat sie mir das Leben gerettet.
    »Travis wird nicht in die Nähe von Maria kommen«, hat Tim mir versprochen. Er wirkte, als wolle er noch mehr sagen, aber dann begnügte er sich doch mit einem einfachen »Wir telefonieren, Meg.« Er fuhr davon, und Maria winkte mir zum Abschied fröhlich zu.
    Meine Scheibenwischer können kaum mit den dicken Schneeflocken mithalten, die unaufhörlich fallen. Großartig, denke ich. Nach Ende meiner Zehnstundenschicht um drei Uhr nachmittags würde ich dann noch Schneeschippen müssen. Ich bin mir mit mir nicht ganz einig, ob ich die Dutch Letters morgen trotzdem backen soll oder nicht, und verwerfe die Idee schließlich. Ich werde stattdessen ausschlafen, fernsehen, mir bei Casey’s eine Pizza holen und mir selber leidtun.
    Mein Handy vibriert in der Innentasche meiner Jacke. Ich hole es heraus und schaue auf das Display. Vielleicht ist es Maria. Nein. Stuart. Mist. Ich stecke das Handy zurück in die Tasche. Stuart, ein Reporter, der für den Des Moines Observer schreibt und ungefähr anderthalb Stunden von Broken Branch entfernt wohnt, und ich haben uns vor ungefähr einem Monat getrennt, als ich herausfand, dass er gar nicht in Scheidung von seiner Frau lebte, wie er es mir erzählt hatte. Nein, sie wohnten immer noch unter dem gleichen Dach und waren – zumindest aus meiner Perspektive – glücklich verheiratet. Ja, die Ironie entgeht mir nicht. Ich habe mich von meinem Mann getrennt, weil er mich betrogen hat, und nun bin ich »die Andere« in den Albträumen irgendeiner armen Ehefrau. Stuart hat das Übliche gesagt: Ich liebe dich, es ist eine Ehe ohne Liebe, ich verlasse sie, bla, bla, bla. Dann war da noch dieser kleine Vorfall, in dem Stuart mich für die
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