Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

Titel: Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
Autoren: Michael Robotham
Vom Netzwerk:
da.

2
    Vincent Ruiz’ schlimmster Albtraum beinhaltet immer einen orangefarbenen Kinderschlitten und einen eisbedeckten See mit einem Loch in der Mitte. Ein Kind wird herausgezogen, blaue Lippen, blaue Haut. Er ist schuld.
    In seinem zweitschlimmsten Traum tritt ein Mann mit dem Namen Ray Garza auf wie der Geist vergangener Weihnachtsfeste und führt Ruiz sein Scheitern in der Vergangenheit vor Augen.
    Garzas Gesicht ist scharf geschnitten, mit einer Narbe quer über dem Hals, wo mal jemand versucht hat, ihm die Kehle aufzuschlitzen, aber nicht tief genug geschnitten hatte. Hoffentlich war derjenige erfolgreicher dabei gewesen, sich die eigene Kehle durchzuschneiden, denn wahrscheinlich möchte man schnell sterben, wenn man Ray Garza in die Quere gekommen ist.
    Garza ist jetzt ein Stützpfeiler der Gesellschaft, ein Mitglied des Establishments, zu reich, um es noch beziffern zu können. Er wird zum Dinner in die Downing Street eingeladen, bekommt Medaillen von Ihrer Majestät und wird in der Zeitung als Philanthrop und Kunstmäzen erwähnt.
    Dennoch, jedes Mal, wenn Ruiz ein Foto von ihm auf irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung sieht oder auf irgendeiner Filmpremiere, erinnert er sich an Jane Lanfranchi. Das war vor zweiundzwanzig Jahren. Sie war erst sechzehn. Eine Möchtegern-Schönheitskönigin.
    Garza wollte sie zum Mädchen von Seite drei aufbauen, der nächsten Samantha Fox. Das war, bevor er sie in den Arsch fickte und ihr in die Wange biss. Tief ins Fleisch.
    So ein schönes Gesicht, zerstört. So ein süßes Mädchen, traumatisiert. Ruiz versprach Jane, dass er sie beschützen würde. Er versprach ihr, wenn sie mutig genug wäre, um gegen Garza auszusagen, würde er ihn ins Gefängnis bringen. Ein Versprechen, das er nicht halten konnte.
    Jane Lanfranchi beging zwei Tage vor dem Prozess Selbstmord, weil sie ihren Anblick im Spiegel nicht mehr ertragen konnte. Die Anklage wurde fallen gelassen. Garza kam frei. Auf den Stufen des Gerichts lächelte er Ruiz an. Sein schiefer Mund wurde gerade, wenn er grinste, und seine aknenarbigen Wangen sahen aus wie Krater in einer Mondlandschaft.
    Ruiz war immer ein Pragmatiker gewesen. Es gibt schlechte Menschen auf der Welt – Vergewaltiger, Mörder, Psychopathen –, viele davon namenlose, gesichtslose Männer, die nie gefasst werden. Der Unterschied dieses Mal war, dass er Ray Garzas Namen kannte, wusste, wo er wohnte, wusste, was er getan hatte, es aber nie würde beweisen können.
    Einer von Ruiz’ Freunden, ein Psychologe mit Namen Joe O’Loughlin, sagte ihm mal, dass manche Träume Probleme lösten, während andere unseren Seelenzustand widerspiegelten. C. G. Jung glaubte, dass »große Träume« so mächtig waren, dass sie unser Leben formten.
    Ruiz hielt das für Blödsinn, sagte es aber nicht. Die Geschichte zeigte, dass jedes Mal, wenn er versuchte, Joe O’Loughlin zu widersprechen, er am Ende als der Dumme dastand. Ruiz weiß, warum er diesen Traum hatte. Es passiert jedes Jahr. Genau vor seinem Geburtstag. Heute wird er zweiundsechzig. In ein paar Stunden kommt die Morgenpost. Es werden eine Geburtstagskarte von seinem Sohn Michael und eine von seiner Tochter Claire dabei sein. Zwillinge. Seine Exfrau Miranda wird ihm etwas Witziges schicken, von wegen, dass er immer nur so alt ist wie die Frau, als die er sich fühlt.
    Und noch eine Karte wird kommen, von Ray Garza. Er schickt jedes Jahr eine – eine aufreizende, rachsüchtige, giftige Erinnerung an Jane Lanfranchi, an gebrochene Versprechen, an Versagen.
    Ruiz sieht auf die Uhr neben seinem Bett. Es ist sechs. Er fühlt sich weder erholt noch verjüngt. Eins der ärgerlichen Vermächtnisse des Alters ist das reichliche Wasserlassen und das Kennenlernen der Gerüche verschiedener Gemüse und Getränke.
    Schmerz ist das andere Vermächtnis, ein anhaltender Schmerz in seinem linken Bein, das kürzer ist als sein rechtes und stark vernarbt. Eine Kugel hat den Schaden angerichtet. Hochgeschwindigkeit. Dum-Dum-Geschoss. Am schwersten war es, von den Schmerzmitteln loszukommen. Sogar jetzt noch, wo er im Bett liegt, fühlt es sich an, als würden Ameisen an seinem narbigen Fleisch nagen.
    Der Schmerz weckt ihn immer langsam. Er muss ganz still liegen, fühlt sein Herz rasen und den Schweiß sich in seinem Nabel sammeln. Diese Art Nachwirkung ist zu erwarten gewesen, sie hat nichts mit seinem Bein zu tun. Ruiz hat gestern Nacht eine halbe Flasche Scotch getrunken und wäre fast auf dem Sofa
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher