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Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

Titel: Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
Autoren: Michael Robotham
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einzuschlafen. Das Zittern der ersten Nacht. Hat jeder. Er hat Sami erzählt, dass er nicht lange bleiben würde, nur für kurze Zeit, nur eine Nacht. Am nächsten Tag hätte er eine Kautionsverhandlung, und sein alter Herr würde zahlen, wie viel auch immer nötig wäre, um ihn rauszukriegen.
    »Dein alter Herr muss tiefe Taschen haben«, hat Sami gesagt.
    »Ich bin sein einziger Sohn.«
    Baby Ray hatte eine Engelszunge, eine scharfe Zunge, eine Zunge für jede Furche. Er erzählte von den Mädchen, die er gevögelt hat, den Kämpfen, die er gewonnen hat, den Deals, die er gemacht hat. Es störte Sami nicht. Er würde in seiner letzten Nacht sowieso nicht schlafen. Er würde die Stunden zählen.
    Baby Ray muss entweder zum Frühstück gegangen sein oder noch schlafen. Samis Magen knurrt. Normalerweise ist das die einzige Mahlzeit, die er nicht versäumt. Das Frühstück kann keiner vermasseln. Man macht Rührei, man grillt Würstchen, man wärmt Bohnen auf; niemand kann ein Frühstück vermasseln.
    Heute geht er nicht hin. Er will nicht, dass irgendetwas schiefgeht. Kein Gedrängel in der Essensschlange, keine Schlägereien, keine Schikanen, nichts, was ihm eine Anklage einbringen kann oder einen Widerruf seiner Bewährung. Stattdessen sitzt er auf seinem Bett, starrt die Wand an und denkt an Nadia.
    Nadia ist seine Schwester. Sie ist neunzehn. Wunderschön.
    Sie sehen nicht aus wie Geschwister. Nadia hat langes braunes Haar, braune Augen und goldbraune Haut. Sie ist halb Algerierin. Sami auch, aber er hat die blauen Augen seines Vaters geerbt und dessen dunkelblondes Haar.
    Nadia war erst siebzehn, als Sami eingebuchtet wurde. Sie ging noch zur Schule. Jetzt arbeitet sie als Sekretärin und geht zweimal die Woche abends ins College. Sie hat eine Wohnung gemietet und fährt ihr eigenes Auto – einen von diesen Smarts, die aussehen, als gehörten sie zum Happy Meal.
    Sami hat sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Er ist erst vor zwei Wochen aus dem Leicester-Knast hierher nach The Scrubs zurückgeschickt worden, das war eine weite Reise für Nadia, sogar mit einem Berechtigungsschein für die Eisenbahn.
    Jemand hatte sie gefahren, um ihn zu besuchen. Wartete draußen. Ihr Freund. Sie wollte Sami seinen Namen nicht nennen. Er hatte einen Sportwagen und fuhr mit offenem Verdeck, was ihre Haare durcheinandergebracht hatte.
    Als alle zum Frühstück gegangen sind, verlässt Sami seine Zelle, um seine letzte Telefonkarte zu benutzen. Er ruft Nadia an. Sie geht nicht dran. Schon seit drei Tagen nicht. Sie weiß, dass er heute rauskommt.
    Er geht zurück in seine Zelle. Sitzt. Wartet. Beobachtet die Uhr.
    Die Zeit hat für ihn eine besondere Bedeutung. Er hat sie genau erkundet und die Kunst erlernt, sich ihr Verstreichen vorzustellen. Zwei Jahre, acht Monate und dreiundzwanzig Tage lang ist er zum Experten dafür geworden, wie viel eine Minute von einer Stunde wegnimmt und wie viel eine Stunde von einem Tag wegnimmt. Wie schnell ein Fingernagel wächst. Wie lange sein Pony braucht, um seine Augen zu bedecken.
    Er hat zwei Geburtstage verpasst, zwei Weihnachten, zweimal Neujahr und zahllose Gelegenheiten für bedeutungslose One-Night-Stands mit ledigen Londoner Mädchen, die eine Schwäche für Gitarristen haben. Das wird er aufholen müssen.
    Um 11:30 Uhr bringt Mr Dean, der Oberbulle des D-Flügels, ihm seine Sachen in einem Kopfkissenbezug.
    Mr Dean wartet, dass er sich seine Jeans anzieht, ein Hemd, eine lederne Bomberjacke und Turnschuhe. Sami muss seine Gefängnisausstattung zurückgeben, die Mr Dean auf einer Liste abhakt. Danach geht er vor dem Wärter her zum Aufnahmezentrum, seine persönlichen Besitztümer im Arm. Das sind nicht viele: eine Armbanduhr, ein Transistorradio, drei Fotografien – zwei von Nadia –, ein Bündel Briefe, ein Handy mit leerer Batterie und eine Plastiktüte, die zweiunddreißig Pfund und fünfundsiebzig Pence enthält. Sami muss das Geld zählen und an drei Stellen dafür unterschreiben. Während er den Flur und die Metalltreppe hinuntergeht, rufen ihm ein paar andere Insassen etwas hinterher.
    »Hey, Sparkles, wenn du rauskommst, lass dich für mich flachlegen.«
    »Sauf dir einen an«, schreit jemand anders.
    Drei Minuten nach zwölf tritt Sami durch die schmale Tür in den viel größeren Toren des Wormwood-Scrubs-Gefängnisses nach draußen. Es hat geregnet, aber der Schauer ist vorüber. In den Senken stehen Pfützen und spiegeln den blauen Himmel. Blauer jetzt, wo er draußen
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