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Birne sucht Helene

Birne sucht Helene

Titel: Birne sucht Helene
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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gelüstet es dich?«
    »Na, Mäckes. Ham, Ham – der Hamburger, Peng, Peng – der Schießburger! Schnelles Fett auf die Faust. Das ist doch die Essenz von allem.«
    In diesem Moment wurde Paul klar, dass mit seinem Leben etwas überhaupt nicht stimmte. Und dass sich noch vor seinem dreißigsten Geburtstag dringend etwas ändern musste. Sonst würde er sich zwar nicht die Kugel geben – aber Andy ihm sicher einen Schießburger.
    Als Paul am nächsten Morgen aufwachte, hatte sich das Vitamin C so weit in seinem Körper verteilt, dass er sich fast wieder wie ein normaler Mensch fühlte. Andy war spät zurückgekommen, hatte die Nacht auf dem Bettsofa verbracht und sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Bettzeug herauszuholen. Er schlief zusammengerollt wie ein Baby – denen allerdings üblicherweise kein Dreitagebart wuchs. Und Babys rochen auch nicht wie vor drei Wochen verendete Bären.
    Paul war ganz leise und ließ seinen parasitären Untermieter weiterschnarchen. Obwohl es draußen noch stockduster war, musste er raus, denn Punkt 7 . 00  Uhr war Schichtbeginn in der KFZ-Zulassungsstelle.Schon eine Viertelstunde später kam die Kundschaft. Oder wie sie intern genannt wurde: die Horde.
    Als Paul eintraf, war die Festung der Nummernschilder aber noch unbelagert.
    Allem Anschein nach war Kollege Günther wieder als Erster an der Stechuhr gewesen. Die Kaffeetasse dampfte schon auf seinem Tisch, der Rechner war hochgefahren, das Lächeln aufgesetzt. Gerade polierte er mit einem Stofftaschentuch seine Vorderzähne. Günther spekulierte auf den Job als stellvertretender Amtsleiter – seit über zwanzig Jahren. Diese Beharrlichkeit rief bei Paul gleichermaßen Bewunderung wie Mitleid hervor.
    »Guten Morgen, lieber Kollege!«, begrüßte der Aufstiegswillige ihn. »Wir haben dich gar nicht mehr erwartet. Unsere Chefin hat auch schon nach dir gefragt – ich konnte ihr leider nicht sagen, wo du schon wieder steckst …«
    Paul ließ sich auf seinen ergonomisch geformten Drehstuhl am Schalterplatz 12 fallen und wünschte Günther einen Neandertaler als Kunden, der sein Wunschkennzeichnen nicht erhielt. In der Regel etwas wie » K-ILL «, oder » K-ING «. Stattdessen könnte Günther ihm » K-OT 00 « heraussuchen.
    Nachdem Paul seinen Computer angeschaltet hatte, ging er mit schweren Schritten ins Büro der Chefin und spulte die Erklärungen über seinen Skorbut herunter (»Nein, es ist wirklich nicht ansteckend!«). Zurück an seinem Platz fühlte er sich so fertig, als habe er gerade den Iron-Man-Triathlon mit einem Elch über der Schulter hinter sich gebracht.
    In diesem Moment glitten die gläsernen Schiebetüren zur Seite. Und die Horde drang ein, wie wild Wartemärkchen ziehend.
    Paul blickte hilfesuchend zu seiner Kollegin Tine – das baute ihn immer auf. Tine war Mitte zwanzig und hatte die Stelle hier angenommen, weil sie so gern mit Menschen zu tun hatte. Anders ausgedrückt: Sie konnte ein gesundes, braunes Pferd totplappern. Leiderhatte sie keine Ahnung von Farb-Psychologie. Tine trug fast immer rot. Heute ein schickes Kostüm, das wunderbar zu ihren langen, blonden Haaren und der milchweißen Haut passte. Das Problem war: Rot erregte andere Menschen. Im Positiven wie im Negativen. Was in pikanten Lebenssituationen durchaus einen Sinn erfüllte, führte an ihrem Schalter zu gesteigerten Aggressionen. Männlichen Kunden drang bei Tine zuweilen der Dampf aus den Ohren.
    Ihr Anblick war für Paul jedoch der einzige Lichtblick in dieser Neonhölle. Er verfluchte den Tag, an dem er die Stelle angenommen hatte – nur, um möglichst schnell aus dem vermaledeiten Bergischen Land wegzukommen. Und wo er gerade dabei war, verfluchte er gleich seine Eltern, die ihn zu der Ausbildung bei der Stadtverwaltung Gummersbach überredet, na ja, eher gezwungen hatten. Weil sie den Job bei der Robben-Aufzuchtstation in Friedrichskoog für Spinnerei hielten. Das war er vermutlich auch – aber Paul hätte es gerne selber herausgefunden. In persönlichen Gesprächen mit den Robben.
    Seine Eltern lebten mittlerweile in Italien, in dem kleinen piemontesischen Dörfchen namens Rimella, aus dem die Familie seiner Mutter stammte. Dort gab es ein Weingut, eine kleine Trattoria, einen Friseurladen, eine Kirche, einen Metzger, streunende Hunde, und nicht viel mehr. Es war wirklich sehr nett.
    Die erste Ummeldung riss ihn aus den Gedanken. Gefolgt von einer Neuanmeldung und einer Abmeldung. In den kurzen Pausen zwischen den
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