Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Autoren: Justinus Kerner
Vom Netzwerk:
Widerwillen gegen einige Speisen, fast für keine eine Vorliebe. Gegen den Einfluß der Witterung, gegen jede Strapaze, war er auf eine unbegreifliche Weise abgehärtet, doch klagte er fortwährend über seine Gesundheit, und war auch wirklich heftigen und häufigen Leiden unterworfen. In der Anwendung ärztlicher Mittel war er gegen sich so hart, wie in allen übrigen Dingen. Einst hatte er sich eine spanische Fliege gelegt, die er solange offen erhielt, bis der ganze Rücken eine entzündete Wunde war.
    Kerners größte Freude bestand darin Schwierigkeiten zu überwinden, ja selbst mit Gefahren zu spielen, was ihm einst von seiner Frau den Vorwurf zuzog: Nur der Tag habe für ihn Wert, den Gott ihm durch Errettung aus Todesgefahr neu schenke. Er lachte, und widersprach nicht. Zu Pferde fühlte er sich am behaglichsten, behauptete auch, die veredelte Gestalt eines Mannes nach der Auferstehung würde die eines Kentaurs sein. Seine geistige und körperliche Unruhe verfolgte ihn bis in seine Träume, wenn er nicht völlig ermattet, wie in einem Todesschlaf dalag, auch brauchte er wenig Schlaf und war beim Erwachen so völlig munter, daß er sogleich eine Beschäftigung vornahm, sei es am Tage oder mitten in der Nacht. Zum unbeschäftigten Stillsitzen verstand er sich nie; zwang ihn etwas dazu, so zerstörten seine Hände sicherlich was sie ergriffen; nur am Krankenbette und als Geburtshelfer war er von unermüdlicher Geduld und Ruhe, man erkannte denselben Menschen, den man gewohnt war in andern Augenblicken in steter Beweglichkeit zu erblicken, alsdann nicht wieder.
    Als eine Merkwürdigkeit bei einem so leidenschaftlichen, heftigen, unruhigen Mann, verdient es wohl angeführt zu werden, daß sein Puls nur vierzigmal in einer Minute schlug.
    Kener war sehr reinlich und hielt selbst auf seinen Anzug, in welchem er stets etwas militärisches beibehielt; aber niemand war ungeschickter sich die Vorzüge der Reinlichkeit und Eleganz zu erhalten, wie er. Trotz seiner großen körperlichen Gewandtheit berechnete er doch in seiner Lebhaftigkeit seine Bewegungen so wenig, daß er hier gegen etwas anfuhr, dort sich überschüttete, wovon er die Spuren dann an sich trug. Kerner hatte viel in seinem Leben geliebt, und diese Liebe ist eben so vielfach erwidert worden, aber die Sache der Menschheit blieb doch die vorherrschende Geliebte seines Herzens, und wo sie rief stand er nicht an, jede andere alsbald zu verlassen.
    Klara war des Vaters Ebenbild und mochte auch wohl sein Liebling sein. So pflegte er ihr einen Schmeichelnamen zu geben, dessen sich nach längerer Zeit weder die Mutter erinnern konnte, noch die alte Kinderfrau, da erkrankte Klara, die eben so wenig, wie die ältere Schwester, sich der Benennung erinnerte, im 9. Jahre so ernsthaft, daß wenig Hoffnung zu ihrer Genesung blieb; es waren sechs und ein halbes Jahr seit Kerners Tod verflossen, eines Morgens richtete sich das kranke Kind plötzlich in seinem Bette auf und rief der Mutter zu: »Vater war diese Nacht bei mir und ritt auf einem Schimmel und rief mir zu: komm zu mir mein Maus aufs Pferd! –« Ich erblaßte, konnte aber doch nicht umhin zu fragen: Und wolltest du zum Vater gehen? »O ja, antwortete das Mädchen, aber ich konnte nicht hinauf aufs Pferd kommen, auch fürchtete ich dies.« Drei Nächte wiederholte sich der gleiche Traum, dann trat eine Krisis und Besserung ein. Genesen, erinnerte sich Klara weder der Benennung noch des Traumes überhaupt.
    Gehört von andern hatte sie »mein Maus« gewiß nie, weil die Norddeutschen »meine« gesagt haben würden. In krankhaften Zuständen beschäftigte sich übrigens Klara oft mit dem Vater! –«
    Bei dieser Erzählung erinnert man sich übrigens unwillkürlich des oben von der Gattin meines Bruders Angeführten:
    »Zu Pferde fühlte er sich am behaglichsten, behauptete auch, die veredelte Gestalt eines Mannes nach der Auferstehung werde die eines Kentauren sein.«
    Mein Bruder Karl schrieb mir nach seinem Tode folgende charakteristische kurze Worte über ihn:
    »Unseres Georgs Charakter entwickelte sich so zu sagen aus seiner eigenen Natur, sie war so, wie
er
war, in der Jugend wie im Alter äußerst empfänglich für das Gute, Edle und Große, feurig, tätig und gutmütig. Diese Eigenschaften in hohem Grad miteinander verbunden machten ihn zum Original, und in Vergleichung mit so vielen andern Alltagsmenschen zu einem seltenen Menschen.«
    Sein treuer würdiger Freund
Reinhold
trug tiefe Trauer über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher