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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition)
Autoren: Kate Racculia
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Person, die du hasst.«
    »Adolf Hitler. Deppen.«
    Amy lachte.
    »Zigarettenraucher.« Arthur zählte es an seinen Fingern ab. »Jago.«
    »Ich meine eine echte Person …«
    »Kleine Menschen, die ihre Sitze in Flugzeugen ganz nach hinten schieben.«
    »… ich meine jemanden, den du persönlich kennstund hasst.«
    Arthur küsste sie, um Zeit zu gewinnen. »Diesen Typen«, sagte er, »diesen Typen neulich im Restaurant.«
    »Welchen Typen?«
    »Den im schlechten Anzug und mit der geschmacklosen Krawatte.«
    »Der die Bedienung angeschrien und zum Weinen gebracht hat?«
    »Genau den«, sagte er. »Diesen Typen hasse ich.«
    Arthur konnte Menschen nicht hassen, ebensowenig wie er Wasser oder Gras oder Stein hassen konnte. Gewöhnliche Leute, wie das pummelige Mädchen im ersten Semester, das vor dem Standardhintergrund A (fleckige blaue Schiefertafel) auf dem gepolsterten Stuhl lümmelte, waren zu großartig und zu selbstvergessen, um sie zu hassen. Er fragte sie nach ihrem Namen und ihrem Klassenlehrer.
    »Jennifer Graves. Ich bin bei Mr. Woodbridge.« Sie war blass und hatte stumpfes braunes Haar, das zu einem unvorteilhaften Pferdeschwanz zusammengebunden war. Auf ihrem Kinn prangte ein roter Pickel.
    »Hi, Jennifer«, sagte Arthur. »Ich bin Arthur.«
    »Hi«, sagte sie.
    »Du siehst nicht so aus, als würdest du dich gern fotografieren lassen.«
    Sie verschränkte mürrisch die Arme vor der Brust. »Wie kommen Sie denn darauf – sind Sie etwa Hellseher?«
    Arthur lächelte sie an. »Du weißt doch, was man von der Highschool behauptet?« Er bückte sich, um durch den Sucher zu schauen.
    »Dass es die besten Jahre meines Lebens sind?« Sie hatte einen wirklich stechenden Blick. Er holte sie im Sucher heran. »Das soll meine glorreichste Zeit sein?«
    »Nur die Stärksten überleben«, sagte er.
    Ein Lächeln zuckte über ihr Gesicht. Er sah es durch die Linsen und hielt es fest, pflückte es aus Raum und Zeit und machte daraus eine digitale Kopie aus Einsen und Nullen. Und wenn Jennifer Graves’ Eltern in zwei Monaten das Folio mit den Porträts ihrer Tochter im ersten Highschooljahr aufschlugen, würden sie, davon ging Arthur aus, in ihren Augen, ihren Lippen, der Hebung ihrer Wangen jemand Vertrautes erkennen. Nicht das missmutige unglückliche Mädchen, das Türen schlug und gemeine Dinge sagte, nur damit sie gesagt waren. Sie würden das kleine Mädchen sehen, das Freude dabei empfunden hatte, nackt durch einen Rasensprenger zu laufen. Die den größten Teil des Jahres 1994 damit zugebracht hatte, ihrem entzückten kleinen Bruder im Haus hinterherzutrampeln und sich als Tyrannosaurus Rex zu gebärden. Sie würden einen Blick auf die Person erhaschen, die Jennifer als Erwachsene sein würde, nachdem sie diese Phase ihres Lebens durch bloßes Durchhalten besiegt hatte.
    Sie würden sehen, was Arthur Rook gesehen hatte.
    Jetzt übernahm Max die Sechstklässler. Arthur ging mit dem Rest seines kalten Kaffees nach draußen und verfolgte den vorbeirollenden Verkehr. Seiner Ansicht nach war es nicht zu vertreten, dass eine Highschool so dicht an so vielen Autos mit ihren Abgasen lag. An der nächsten Straßenecke gab es eine Tankstelle, und der Walk of Fame befand sich nur eine Straße weiter. Er konnte das Dach des Theaters sehen, in dem die Oscarverleihungen stattfanden. In Los Angeles aufzuwachsen war für Arthur unvorstellbar – Los Angeles als Ort, wo Leute ein normales Leben lebten, war unvorstellbar –, basta. Als er hierherkam, fühlte er sich von der Stadt gefoppt, als würde sie sich auf peinliche und irreale Weise an ihm reiben, wie ein Fremder, der einem in einem ansonsten leeren Bus auf die Pelle rückte. Fremdartige Vegetation, stachelig und dickblättrig, gedieh neben den Gehwegen und Mittelstreifen der Highways oder winkte mit ihren an Science-Fiction erinnernden Wedeln hoch über seinem Kopf. Die Welt roch nach frisch umgegrabener Erde, nach feuchtem Schmutz. Die Wandgemälde, die den Hollywood-Boulevard säumten – Bette Davis, Bob Hope, Marilyn Monroe – kräuselten sich wie Luftbilder an den Sicherheitstoren der Warenhäuser und leugneten, dass es etwas so Prosaisches wie den Tod gab. Leichen waren in Hollywood allgegenwärtig: feurige Augen, in die Stirn geschobene Cowboyhüte, Röcke, die sich für die Ewigkeit über den Schenkeln bauschten. Die Stadt verklärte die Ewigkeit, indem sie einen daran erinnerte, wie viele Leute bereits tot waren, und Arthur fühlte sich inmitten so
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